Am 24. Juli 1890 verkündete das Amtsgericht Marburg sein Urteil über die Anklage Otto Böckels wegen Beleidigung der jüdischen Kaufmänner Erlanger und Gottschalk. Böckel wurde für schuldig befunden, in einem seiner Reichsherold-Artikel falsche Tatsachen zuungunsten der beiden Kläger verbreitet zu haben.
Transkription:
"[Seite 1] Im Namen des Königs!
In der Privatklagesache
1) des Kaufmanns Louis Erlanger zu Marburg
2) des Handlungsgehilfen Siegmund Gottschalk zu Marburg
vertreten durch die Rechtsanwälte Justizrath Dr. Wolff und Dörffer [?] zu Marburg
gegen den Redakteur Dr. phil. Otto Böckel zu Marburg
wegen Beleidigung
hat das Königliche Schöffengericht zu Marburg
in der Sitzung vom 22ten Juli 1890,
[...]
für Recht erkannt,
der Beklagte Dr. phil. Otto Böckel von hier, wird wegen Beleidigung der beiden Privatkläger zu je 20 M. od. 4 Tagen Haft, zusammen 40 M. Geldstrafe od. 8 Tagen
[Seite 2] Haft und in[?] die Kosten des Verfahrens verurteilt.
Zugleich wird den Privatklägern die Befugnis zugestanden, die Verurteilung innerhalb 14 Tagen nach Zustellung des Urteils einmal auf Kosten des Verurteilten im Reichsherold an der Stelle, wo der beleidigende Artikel gestanden ist, zu veröffentlichen.
Gründe
die von dem Angeklagten als verantwortlichem Redakteur herausgegebene, in Marburg erscheinende Zeitung „der Reichsherold brachte in der Freitag den 10. Januar 1890 ausgegebenen No. 272 folgenden Artikel:
[zitiert Artikel aus Reichsherold]
[Seite 3] der dieserhalb seitens der Inhaber der Firma Rosa Erlanger, des Kaufmanns Louis Erlanger dahier und des Reisenden Gottschalk erhobenen Privatanklage gegenüber hat der Angeklagte den Beweis der Wahrheit anzetreten versucht. Letzterer ist jedoch mißlungen. Die Beweisaufnahme [Seite 4] hat nämlich ergeben, daß das Verlangen des Reisenden Gottschalk an den Schwager des H. Vaupel, Bürgschaft für jenen in Höhe von 60 M. zu leisten, zeitlich vor der Vereinbarung zwischen Gottschalk und Happel und der Auszahlung der 40 M. an den ersten erfolgt ist. Das Gericht hat dabei die Aussagen der Eheleute Vaupel als entscheidend angesehen, welche bestimmt bekundet haben, daß erst nachdem sie dem Gottschalk nicht zu Willen gewesen[?] seien, sie von der Firma Erlanger ein Mahnverfahren auf Zahlung einer ihrerseits contrahierten Waarenschuld in Höhe von circa 45 M. verklagt worden seien, - nur sie als die Folge ihrer Weigerung angesehen hätten.
der in betracht kommende Zahlungsbefehl in Sachen der Firma Rosa Erlanger gegen den Baumgärtner[?] Heinrich Vaupel ist nun auch der ? Auskunft des Königlichen Amtsgerichts zu Rosenthal am 2. Februar, der Vollstreckungsbeehl am 1. März 1887 erlassen worden. Am 2. März 1887 ist derselbe seitens des Gerichtsvollziehers Berghofer durch Pfändung eines ? vollstreckt worden.
Dagegen ist die Bescheinigung, in welcher Gottschalk über den Empfang von 40 M. von Happel quittierte, am 28. März 1890 ausgestellt.
[...]Der ? artikel enthält somit bezüglich des Reisenden Gottschalk die Behauptung von[?] nicht erweislich wahren Thatsachen, welche, indem sie das Vergehen des Betrugs ?, geeignet sind, den Gottschalk verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.
Durch die Schlußworte „dies ein Beipsiel aus der Praxis des Hauses Rosa Erlanger“ ist aber auch der Inhaber dieser Firma beleidigt, indem mit jenen Worten indirekt gesagt ist, daß dasselbe mit den betrüglichen Handlungen seines Reisenden einverstanden gewesen sei, und daß betrügliche Manipulationen dem Geschäftsbetrieb der Firma Rosa Erlanger eigen seien.
[...]"
Arbeitsaufträge:
- Warum verurteilt das Marburger Gericht Otto Böckel zu einer Geldstrafe?
- Wie hat sich der Verkaufsvorgang Gottschalks, über den der betreffende Reichsherold-Artikel berichtete, gemäß der Urteilsbegründung tatsächlich zugetragen? Wie verändert dies die antisemitische Suggestion im Artikel des Reichsherolds?
- Welche Rolle spielt für das Gericht, dass die Kläger und Beleidigten Juden sind?
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.