„Ohne die deutsch-französische Freundschaft wird es niemals ein Europa geben". Ansprache von Konrad Adenauer vor der 7. deutsch-französischen Konferenz in Bad Godesberg, 24. Mai 1963
Ohne eine deutsch-französische Verständigung wird es niemals ein Europa geben. Sicher, der Lauf der Zeit heilt manche Wunden. Es wird natürlich im Jahre 1963 nicht mehr dieselbe Stimmung zwischen Frankreich und Deutschland sein, wie sie im Jahre 1945 war. Damit sind aber die Wunden nicht geheilt und vernarbt. Ohne daß die Wunden, die diese beiden Völker sich gegenseitig im Laufe von vielen Jahrhunderten geschlagen haben, geheilt und vernarbt sind, gibt es eben keine Verständigung, und würde es kein Europa geben.
Die europäischen Einrichtungen, die nach dem Kriege geschaffen sind, haben in erster Linie einen politischen Zweck gehabt. Das wird meist zuwenig berücksichtigt. Ich habe dabei besonders die Gründung der Montan-Union im Auge und denke an den Brief, den mir der damalige französische Außenminister Robert Schuman schrieb und in dem er dem Sinne nach etwa ausführte, das Mißtrauen zwischen dem französischen und dem
deutschen Volke müsse aus der Welt geschafft werden ...
Ich glaube, wir sind auch jetzt noch Robert Schuman von Herzen dafür dankbar, daß er damals diese kühne Initiative ergriffen hat, die der Anfang des ganzen Versöhnungswerks zwischen Frankreich und Deutschland darstellt.
Was den Wert dieser Aussöhnung angeht, so muß ich doch noch etwas weitergehen, und zwar muß ich auf das Verhältnis dieser beiden Länder zum zaristischen Rußland zurückgehen. Wir müssen daran denken, daß lange Jahre eine Verbindung zwischen dem Deutschen Reich und dem zaristischen Rußland gegen Frankreich bestanden hat ...
Daher war es besonders wichtig, daß gerade die beiden Nachbarländer, Frankreich und Deutschland, diesen Freundschaftsvertrag schlossen, der es ausschließt, daß in Zukunft wieder Sowjetrußland mit Deutschland gegen Frankreich oder mit Frankreich gegen Deutschland Politik treibt. Ich glaube, daß Sowjetrußland die Bedeutung gerade dieses Vertrags im Hinblick auf die Rolle Sowjetrußlands sehr gut verstanden hat. Sie wissen, daß die Sowjetregierung gegen den Abschluß des Vertrags protestiert hat. Sie hat aus Anlaß der Unterzeichnung des deutsch-französischen Vertrags bei der französischen Regierung erneut Protest eingelegt. In diesem Protest befindet sich ein Satz, der in den offiziellen Veröffentlichungen nicht enthalten ist, den ich Ihnen aber verlesen möchte: Die geographische Lage und die Geschichte - so sagt man in Moskau - machten aus Frankreich und Rußland natürliche Verbündete, die sich in der Vergangenheit zu verständigen wußten und im Kampf gegen den deutschen Angreifer nie eine Rivalität kannten. Es wäre nicht übertrieben, zu behaupten, daß, wenn Frankreich und die Sowjetunion als die wichtigsten Mächte des europäischen Kontinents gemeinsam handelten, es niemand wagen könnte, die Karte Europas zu revidieren. Die freundschaftlichen Beziehungen Frankreichs und der Sowjetunion könnten ein Bindeglied zwischen West- und Osteuropa werden und zur Schaffung einer internationalen Zusammenarbeit beitragen. Sie ersehen daraus, meine Damen und Herren, daß dieser Vertrag, den Deutschland und Frankreich geschlossen haben, in dem ganzen politischen Gefüge, solange dieses in der bisherigen Weise beeinflußt wird durch den Druck der Sowjetunion oder ihrer Satellitenstaaten, also weit über die Grenzen unserer beiden Länder hinaus, von großer Bedeutung ist.
Es war daher ein wirklich großer Tag, als der Deutsche Bundestag fast einstimmig diesem Vertrag zugestimmt hat. Es ist davon gesprochen worden, daß der Vertrag zunächst kritisiert worden sei und daß Befürchtungen laut geworden wären. Nun, der Abschluß dieses Vertrages verdient in Wahrheit die Kennzeichnung, ein geschichtlicher Vorgang zu sein ...
Diese völlige Aussöhnung ist nach meiner tiefen Überzeugung, einer Überzeugung, die nach dem Kriege 1914-1918 in mir entstanden ist, wirklich ein Ereignis von sehr großer geschichtlicher Tragweite ... Ich bin überzeugt davon, daß der Verlauf der Ereignisse und der Ablauf der Geschichte mir darin recht geben werden ...
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