Die berufstätige Frau und die Situation der Familie. Aus einer Presseerklärung von Maria Weber, Hauptabteilung Frauen im DGB, 30. August 1960
Der Anteil der erwerbstätigen Frauen an der Gesamtzahl der Beschäftigten nimmt ständig zu. Er ist von 28,5 Prozent im September 1948 auf heute 34 Prozent gestiegen. Gleichfalls hat sich der Anteil der verheirateten Frau unter den Beschäftigten erhöht.
Hervorgerufen wurde diese Entwicklung durch die laufend wachsende Nachfrage der Wirtschaft nach weiteren Arbeitskräften. Nachdem die Männer im erwerbsfähigen Alter schon fast hundertprozentig beschäftigt sind, wendet man sich heute in erster Linie an Frauen, und zwar an Hausfrauen und Mütter ...
Der DGB geht dabei von der Feststellung aus, daß
1. Frauenarbeit heute und in der Zukunft ein unentbehrlicher Faktor für die Wirtschaft ist und bleibt;
2. die Frauenarbeit also kein vorübergehender Zustand mehr ist;
3. trotz zunehmender Automation die Frau als Arbeitskraft gebraucht wird und
4. durch die Erhöhung des Lebensstandards und die Verlängerung der arbeitsfreien Zeit eine Ausweitung der Beschäftigung in den nicht produzierenden Bereichen vor sich geht (Handel, Dienstleistungen usw.), in denen schon immer ein hoher Anteil der Frauenarbeit vorhanden war. Hinzu kommt, daß durch die allgemeine Wehrpflicht heute ein erheblicher Teil der arbeitsfähigen jungen Männer für ein Jahr dem Arbeitsleben entzogen wird. Frauen treten im Betrieb an ihre Stelle, und darüber hinaus werden bei der Bundeswehr selbst viele Frauen beschäftigt.
Änderungen im Lehenslauf der Frau
Andererseits muß nach gewerkschaftlicher Auffassung auch die sonst noch viel zu wenig beachtete Tatsache berücksichtigt werden, daß durch die längere Lebenserwartung entscheidende Änderungen im Lebensablauf der Frau eingetreten sind. Während um 1900 die mittlere Lebenserwartung bei 48 Jahren lag, beträgt sie heute 68 Jahre. Die Zeit, in der die Frau mit der Erziehung der Kinder ausgefüllt ist, macht daher nur etwa ein Drittel ihrer gesamten Lebensdauer aus. So steht jetzt allgemein nicht nur das heranwachsende Mädchen bis zur Eheschließung oder bis zur Geburt des Kindes im Erwerbsleben, sondern man findet häufig einen Wiedereintritt ins Berufsleben, wenn die Kinder herangewachsen sind, die Mutter sich nicht mehr ausgelastet fühlt und entsprechende Anreize zur Wiederaufnahme der Arbeit vorhanden sind.
Falsche Einschätzung der Frauen-Erwerbsarbeit
Aus den vorgenannten Tatsachen geht hervor, daß die Frauenerwerbsarbeit nicht nur vorübergehend ist. Die falsche Einschätzung der Frauenbeschäftigung als vorübergehender Zustand ist die Ursache für die bisher eindeutige Benachteiligung der Frau
a) bei der Berufsausbildung: Diese Auffassung ist in zahlreichen Fällen der Anlaß, warum Mädchen keine oder nur eine unzureichende Berufsausbildung erhalten, obwohl geistige Voraussetzungen für die qualifizierte Berufsausbildung vorliegen;
b) bei der Entlohnung: Ihr Arbeitsverdienst wird sehr oft nur als Zu-Verdienst angesehen und ist deshalb häufig die Ursache für die ungerechte und niedrigere Bezahlung der Frauenarbeit;
c) bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes: Beim Bau von Maschinen und Arbeitsgeräten ist bisher die körperliche Konstitution der Frau zu wenig berücksichtigt worden.
Die Gewerkschaften fühlen sich verpflichtet, dafür zu sorgen, daß auch die Frauen den Arbeitsplatz bekommen, den sie sich auf Grund ihrer geistigen Fähigkeiten und handwerklichen Geschicklichkeiten verdienen und zwar nicht nur in Notzeiten, nicht nur im Notdiensteinsatz und im Katastrophenfall. In diesen Zeiten haben Frauen immer bewiesen daß sie dazu befähigt sind. Darum beanspruchen wir diese Plätze in normalen Zeiten und für die Dauer des gesamten Arbeitslebens.
Die soziale Situation der Familie
Für die allermeisten Frauen stellt sich allerdings nicht die Frage, ob sie arbeiten wollen. Sie müssen arbeiten und Geld verdienen,
a) weil sie allein stehen,
b)weil sie durch ein besonderes Schicksal der Ernährer ihrer Familien sind,
c) weil das Einkommen des Ehemannes nicht ausreicht,
d) weil die Kinder eine gute Berufsausbildung haben sollen.
Die Gewerkschaften bedauern, daß viele Mütter mit kleinen Kindern aus materieller Not gezwungen sind, zu arbeiten, weil die Betreuung der Kinder durch die Mütter nicht hoch genug bewertet werden kann.
Aber auch die Mütter selbst leiden darunter. Sie erleiden zudem durch doppelte Belastung oft auch gesundheitlichen Schaden. Leichtfertig werden solche Mütter von Außenstehenden abgeurteilt ...
Selbstverständlich arbeiten auch Frauen und Mütter in Betrieben und Büros, die nicht aus materieller Not dazu gezwungen werden. Immer sollte aber die persönliche Entscheidung respektiert werden. Kein Außenstehender kann beurteilen, warum eine Frau arbeitet ...
Andererseits wäre es wünschenswert, wenn in eindringlichster Weise von allen Organisationen und Institutionen ohne verletzende Äußerungen den Familien klargemacht würde, wie wertvoll die Mutter daheim für die Familie ist, und daß nur materielle Not Zwang sein dürfte, wenn Mütter mit kleinen Kindern einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund muß aber ebenso erwarten, daß alle diese Verbände und Institutionen, die sich für die Frau und die Familie verantwortlich fühlen, seine sozialpolitischen Forderungen unterstützen, damit H nicht mehr die materielle Not der Anlaß für die Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern ist ...
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.