Buchenwald
Wie etwa eintausend andere Sinti und Roma wurde Heinz S. Mitte April 1944 von Auschwitz nach Buchenwald oder Ravensbrück zum Arbeitseinsatz transportiert.[1]
Ich bin dann nach Buchenwald gekommen. Auf dem Transport fragte ich herum: „Wo ist die Mama?" „Ist tot." Die hat Kopftyphus gekriegt und daran ist sie dann gestorben. „Wo sind die Mädels? Mein Vater?" „Dein Vater lebt, der ist weggekommen, aber ich weiß nicht wo." Aber die wollten immer noch nicht raus, ich hab`s gemerkt, das da was nicht stimmte. „Die Kleine ist auch tot." „Wo ist die andere?" Meine Schwester haben sie bis nach Ravensbrück gebracht. Da haben sie ihr eigenes Grab schaufeln müssen und lebendig haben sie sie verbrannt. Alle. Mit Flammenwerfern.
Appell
Tausende von Menschen mußten sich auf dem großen Platz aufstellen. Wir mußten uns alle nackt ausziehen. Ein SS-Mann kam und sagte: „Die nicht tätowiert sind nach links. Die können sich anziehen. Die Tätowierten nach rechts." Er ritt durch die Reihen und sagte: „Links, links, .... Du rechts! Ich wurde nach links aussortiert. Die anderen habe ich nie wieder gesehen. Einige sagten: „Dieses Mal war er ja noch human. Er hat ja nur wenige mitgenommen."
Aber als seine Frau kam, hat das ganze Lager gebebt, vor allem, die tätowiert waren. Manche haben sich gleich erhängt. Die anderen mußten wieder nackt heraus. In einem Meter Abstand ist durch die Reihen gegangen mit ihrer Reitpeitsche in der Hand. Sie trat Männer zwischen die Beine und hunderte von Männern, die gut tätowiert waren - gemeint sind hier nicht die eintätowierten KZ-Nummern - nahm sie heraus. Aus ihrer Haut hat sie - wie ich jetzt weiß - Handtaschen oder Lampenschirme machen lassen.
Dora
Auf dem Transport nach Dora wurde gesagt: „Alle, die Maurer sind, vortreten." "Die Musiker sind, vortreten." "Die Tänzer sind, vortreten." Und dann fragten sie: „Gibt es welche bei euch, die Fliesenlegen können." Da habe ich gedacht, jetzt melde dich schnell. Ich habe mich gemeldet, aber ich war`s gar nicht. Da ich früher auf dem Bau gearbeitet habe, habe ich mich einfach gemeldet. Ich mußte dann in einer SS-Baracke Platten legen. Häftlinge fuhren das Material hin. Zuerst habe ich alles plan gemacht und dann die Platten verlegt. Als ich mitten bei der Arbeit war, kamen SS-ler und haben mich mit Steinen beworfen. Einige trafen mich, aber ein Stein ist in die Fensterscheibe geflogen. Der Rapportführer ist gekommen und hat mich dann - ohne ein Wort zu sagen - zusammengetreten. Dann fragte er mich: „Warum hast du die Scheibe kaputt gehauen?" „Ich war`s nicht,“ habe ich noch gesagt. „Das waren die SS, die haben nach mir geschmissen. Da ging dann ein Stein ins Fenster." „Ach, lügen willst du auch noch? Also, runter auf den Bock." Dann haben sie mich geschlagen. [...] In der SS-Baracke, da war ein alter oder älterer Herr. Er kam von der Flak. Der hat gesehen, was die SS-ler mit mir gemacht haben. Er ist zum Hauptscharführer hingegangen und hat gesagt: „Ich habe gesehen, daß es der und der war." „Wollen Sie den Mann schützen?" „Der Mann ist unschuldig. Er hat seine Arbeit gemacht. Und wie sauber. Warum ist er jetzt geschlagen worden? Die haben doch mit Steinen geschmissen." „Naja, gut, wir sprechen uns."
Ungefähr nach vierzehn Tagen kam einer und sagte: „Der arme Mann, der Alte, hat sich aufgehängt. Er hat einen Zettel hinterlassen: er will nie Deutscher sein." Denn diese Schweinerei, die er da gesehen hat, daß Leute so mißhandelt wurden, waren zuviel für ihn. An seinen Hosenträgern hat er sich aufgehängt.
Eine ganze Zeit war ich da am Arbeiten, ... Ich hörte: „Heinz". Mich konnte ja keiner meinen, aber die Stimme kam mir so bekannt vor. Wieder: "Heinz. Puhls-Heinz." Der Platz (in Cölbe), der hieß Pfuhl. Ich drehe mich um und - es war mein Schulkollege. Er war nach Dora abkommandiert, und ich sagte nur zu ihm: „Jetzt siehst du mal wirklich, was los ist. "
Das Wiedersehen mit dem Vater
Von Buchenwald kam ich nach Ellrich, Nordhausen. Da habe ich bei der Arbeitsstelle, so Loren schieben müssen. Dort habe ich einen guten Freund getroffen. „Ach, du bist hier. Dein Vater ist bei mir im Kommando." „Ach", habe ich gesagt, „hol` ihn doch." „Paß` auf. Morgen Mittag, da, wo wir jetzt sind, da bringe ich ihn hin.“
Am nächsten Tag ging ich hin und ich habe dann zwar einen Mann stehen sehen. Ich war vielleicht drei bis vier Meter von ihm entfernt. Ich habe meinen Vater nicht erkannt. Ich habe ihn nicht mehr erkannt. Er war nur noch so ein Skelett. Ich habe ihn erst wiedererkannt, als ich seine Hände sah. Nur an seiner Hand habe ihn erkannt. Ich bin ihm um den Hals gefallen. Er hat mich nicht erkannt, und ich hatte ihn nicht erkannt. Das will was heißen. Und da sagen die Leuten, wir hätten nichts mitgemacht. Und trotzdem sind wir wieder hier her, von wo wir weggekommen sind. Denn wir haben gesagt, einige können nichts dafür. Die anderen haben sich dünn gemacht, wie sie gehört haben ...[1] In der Ausstellung in Buchenwald kann man seinen Namen auf einem der Exponate „Einlieferungsliste der Zigeuner aus Auschwitz“ finden.
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