Kontroverse über die Beteiligung der KPD an den Wahlen zur Nationalversammlung auf dem Gründungsparteitag der KPD am 30.12.1918:
Gen. Dr. Levi: Ich weiß, es ist keine leichte Aufgabe, wenn ich eintrete für die Wahlen zur Nationalversammlung... Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß der Gedanke der Räteverfassung, kommend aus dem Osten, dem revolutionären Proletariat vorgedacht im Osten, eine faszinierende Gewalt haben mußte auf die Sinne des deutschen Proletariats. ... Wir wissen ganz genau, der Weg des Proletariats zum Siege, er kann nur gehen über die Leiche der Nationalversammlung hinweg... Es ist kein Zweifel, daß in dieser Nationalversammlung die Vertreter der entschlossenen revolutionären Richtung innerhalb des Proletariats in der Minderheit sich befinden werden. Parteigenossen! Trotzdem schlagen wir Ihnen vor, die Nationalversammlungswahlen nicht i o beiseite liegen zu lassen. Wir schlagen Ihnen vor, in diese Wahlen zur Nationalversammlung einzutreten mit aller Kraft... Wenn Sie jetzt die Parole für den Boykott der Wahlen ausgeben, so wird es Ihnen nie und nimmer gelingen, jene gewaltigen Scharen, die innerlich mit uns sympathisieren, die innerlich mit uns stehen und die wir in kurzer Zeit mit uns verbinden könnten zu gewinnen, sie werden beiseitestehen...
... Die deutsche Bourgeoisie konstituiert sich, faßt ihre ganze Macht zusammen, schafft sich ein Organ, um noch einmal die Revolution zu unterdrücken, und da kommen Sie und sagen, das richtet sich von selbst. Das richtet sich nicht von selbst. Es ist unsere Pflicht, in jenes Gebäude einzudringen, es ist 20 unsere Pflicht, die Feuerbrände zu werfen in diese Schanzen... Gen. Rühle. Ich bin gegen den Vorschlag Levi, uns an den Wahlen zur Nationalversammlung zu beteiligen... Wir müssen die lebende Politik der Straße immer weiter aufstacheln, wir dürfen die Bewegung nicht wieder einlullen, indem wir dem Arbeiter einen Stimmzettel in die Hand geben... Wir sind doch im Begriff, die Macht an uns zu reißen. Wenn wir die Macht haben, werden wir sie uns nicht wieder entwinden lassen durch die Nationalversammlung... Genosse Levi sagte, daß wir diese Tribüne brauchten. Wir haben jetzt andere Tribünen. Die Straße ist die großartigste Tribüne, die wir errungen haben, und die wir nie wieder aus den Händen geben, wenn man auch auf uns schießt, wir so geben sie nie wieder aus der Hand.
Gen. Rosa Luxemburg: (von lebhaftem Beifall begrüßt)
... ich bin verpflichtet, die Wege zugeben, die sich aus meiner Auffassung über die Zustände in Deutschlandergeben. Die Aufgaben sind gewaltig, sie münden in die sozialistische Weltrevolution. Aber was wir bisher in Deutschland 3s sehen, das ist noch die Unreife der Massen. Unsere nächste Aufgabe ist, die Massen zu schulen, diese Aufgaben zu erfüllen. Das wollen wir durch den Parlamentarismus erreichen. Das Wort soll entscheiden. Ich sage Ihnen, gerade dank der Unreife der Massen, die bis jetzt nicht verstanden haben, das Rätesystem zum Siege zu bringen, ist es der Gegenrevolution gelungen, die Natio- 40 nalversammlung als ein Bollwerk gegen uns aufzurichten. Nun führt unser Weg durch dieses Bollwerk hindurch...
Die Wahlen stellen ein neues Instrument des revolutionären Kampfes dar...
Sie können sich nicht vorstellen, dieses Mittel zu gebrauchen im revolu
tionären Sinne. Sie verstehen: entweder Maschinengewehr oder Parlamentarismus. Wir wollen etwas verfeinerten Radikalismus. Nicht bloß dieses grobkörnige Entweder-Oder. Es ist bequemer, einfacher, aber das ist eine Vereinfachung, die nicht der Schulung und Erziehung der Massen dient...
Hermann Weber (Hg.), Der Gründungsparteitag der KPD. Protokoll und Materialien, Frankfurt a. M./Wien 1969, S. 88-135
Am 6. 2.1919 trat die Nationalversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung im National-Theater von Weimarzusammen. In der Reichshauptstadt Berlin herrschten im Januar 1919 (Spartakus-Aufstand 5.-12. 1. 1919) bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen. Die Wahl der Stadt Weimar als Versammlungsort sollte aber auch die bewußte Anknüpfung des neuen republikanisch-demokratischen Staates an die geistigen Traditionen des deutschen Idealismus demonstrieren.
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