Das Große Judenprivileg Kaiser Karl V., gegeben zu Speyer, 3. April 1544 [> Transkription]
Der historische Kontext:
Der Anlass für die Erteilung des Privilegs war doppelt. Gegen Ende 1543 ereignete sich erneut ein Fall einer Ritualmordbeschuldigung gegen die Juden. 1541 hatte man eine solche Beschuldigung mit Hilfe der Schrift Osianders zurückweisen und damit auch die Verfolgungen gegen die Juden verhindern können. Dieses Mal konnte Josel trotz großer Bemühungen den zuständigen Bischof von Würzburg (wo der Fall sich ereignete) nicht dazu überreden, die gefangenen Juden, die insgesamt 32 Wochen im Gefängnis saßen, zu befreien, obwohl sie sich trotz schwerer Folter nicht schuldig bekannten und auch andere nicht der Tat bezichtigten. Deswegen fuhr Josel nach Speyer, wo der nächste Reichstag stattfinden sollte, um vom Kaiser Briefe zur Entlassung der gesagten Juden zu erbitten. Josel konnte dem Kaiser berichten, dass die Juden trotz der rechtswidrigen Peinigung kein Geständnis ablegten und er trug ihm auch vor, dass es schon mehrere Fälle gegeben habe, in denen die Wahrheit am Ende ans Licht gekommen war, was zur Freisprechung der Juden von diesen erfundenen Beschuldigungen geführt hatte. Schließlich konnte Josel dem Kaiser ältere Privilegien und Bullen von Päpsten wie von Kaisern vorzeigen, die die Juden vor diesen Anklagen in Schutz nahmen. Der Kaiser gab Josel Briefe, mit denen die Freilassung der gefangenen Juden erwirkt werden konnte. Noch wichtiger war, dass der Kaiser erkannte, wie wichtig es war, dass er die Juden wieder unter seine Schutzherrschaft nahm und ihre Rechte bestätigte und verkündete, und zwar in einer unmissverständlichen Sprache.
Der zweite Anlass, der mit dem ersten eigentlich untrennbar verflochten war, war die Veröffentlichung der Schrift Martin Luthers „Von den Juden und ihre Lügen “. Wie Josel schon dem Straßburger Rat darstellen konnte [4], verursachte diese Schrift an vielen Ecken im Reich Unruhen oder zumindest aufrührerische Stimmung gegen die Juden. Nachdem in den Jahren zuvor Blutbeschuldigungen und Vorwürfe wegen Hostienschändungen zurückgegangen waren, schien es, als würden diese ein Wiederaufleben erfahren.
Dass Luthers Schrift(en) [5] mit der Erteilung des Privilegs etwas zu tun hatte(n), lässt sich daran erkennen, dass einige der erwähnten Schutzmaßnahmen, die der Kaiser explizit im Text der Urkunde ausführt, als eine direkte Antwort auf den Maßnahmenkatalog betrachtet werden muss, den Luther in seiner Schrift gegen die Juden gefordert hatte. So mussten z.B. die Synagogen und Lernstuben der Juden vor Verbrennungen und Zerstörungen geschützt werden. Auch das Verbot, die Juden zu vertreiben, muss in Zusammenhang mit der neuen Judenpolitik, die Luther für die protestantischen Länder vorschlug, gesehen werden.
Der Kaiser bekräftigte in diesem Privileg den Status der Juden als Kammerknechte. Damit sollte auch seine eigene Oberhoheit über die Juden im Reich zum Ausdruck gebracht werden. Das Verbot, von den Juden zusätzliche Zölle zu verlangen, wenn diese auf kaiserlichen Wegen reisen, aber auch die Bestimmung, dass Gerichtsprozesse und –urteile nur vom Kaiser selbst geführt bzw. gefällt werden können, deuten auf diesen Anspruch des Kaisers hin. Der Grund dafür, warum der Kaiser den Status der Kammerknechtschaft der Juden hier wieder aufgreift, liegt – neben der Durchsetzung seiner universellen Macht gegenüber der partikulären Macht der Fürsten und Stände – darin, dass das „Institut“ der Kammerknechtschaft seit dem Privileg von 1530 nicht mehr urkundlich erwähnt wurde und im zeitgenössischen Diskurs der Juristen, seit dem Gutachten Johannes Reuchlins außer Gebrauch gekommen war und durch das „Institut“ der civitas Romana ersetzt wurde. Eine Neuformulierung des ohnehin schon bekannten Gegenstands der kaiserlichen Judenschutzpflicht und des Knechtsstatus der Juden erschien aus diesem Grund notwendig.[6]Interessant ist, dass sich auch in diesem Privileg kein Hinweis darüber befindet, dass der Kaiser von den Juden irgendeine Steuer oder andere Zahlungen verlangte. Wenn Josel in seinem Bericht für das Jahr 1545 [7] darüber erzählte, dass die Juden mehr als 3000 Gulden für die Kriegsanstrengungen des Kaisers gegen Frankreich aufbrachten und darüber hinaus dem Kaiser Geschenke im Wert von mehr als 400 Gulden überreichten, dann sind es Anzeichen dafür, dass finanzielle Interessen doch eine Rolle spielten, auch wenn nicht als Bedingung für die Erteilung des Privilegs.
Es zeichnet sich vielmehr eine taktische Vereinbarung zwischen dem Kaiser und dem Befehlshaber der Judenschaft im Reich ab. Die Schilderung, die Josel in seinen Memoiren für die Ereignisse im Schmalkaldischen Krieg in den Jahren 1546-47 lieferte, lassen vermuten, dass tatsächlich ein gewisser Pakt mit dem Kaiser geschlossen wurde, wonach die Juden dauerhaft die Kriegsanstrengungen des Kaisers mit Geld, Speisen oder anderen Mitteln unterstützten, und zwar unabhängig davon, wer der Gegner war. Dafür standen sie in der Gunst des Herrschers und erhielten den weitreichendsten Schutz, den der Kaiser zu bieten hatte. Allerdings muss man berücksichtigen, dass laut dem gleichen Bericht Josels das Privileg von 1544 erst 1546 auf dem Reichstag unmittelbar vor Beginn des Kriegs gegen die protestantischen Fürsten tatsächlich erstellt und erteilt wurde. Ob der Kaiser die Juden in dieser Situation unter Druck setzte und ihre Unterstützung für seine Kriegsanstrengungen verlangte, ist ungewiss. Denn darüber fehlt bisher eine präzise Untersuchung.
[4] Siehe den Brief Josels an den Straßburger Rat 1543
[5] Die Schrift „Vom Schem hamphorasch “ muss hier auch erwähnt werden.
[6] Vgl. Battenberg, S. 164f.
[7] Siehe die Einleitung zum Bittgesuch der Juden an Kardinal Farnese
Aufgabe:
1. Vergleichen sie dieses Privileg mit dem Innsbrucker Judenprivileg. Inwiefern und in welchen Punkten unterscheiden sie sich?
Gruppenarbeit:
2. Die Ausstellung bietet eine große Auswahl an kaiserlichen Privilegien. Wählen Sie drei Privilegien aus unterschiedlichen Epochen aus und vergleichen Sie sie miteinander. Anschließend stellen Sie Ihre Ergebnisse den Bestimmungen des Privilegs von 1544 gegenüber. Ist diese Urkunde tatsächlich die "bedeutendste dieser Art überhaupt"?
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