Leiden der ausgewanderten Juden in Fez. Aus dem Bericht des aus Sevilla stammenden Geschichtsschreibers Salomo ibn Varga, 1550
Auch diejenigen, welche nach Fez ausgewandert waren, wurden von den Strafgerichten des Hochgelobten betroffen, besonders von der schweren Hungersnot. Es erlaubten ihnen die Einwohner nicht den Zutritt in die Städte, aus Furcht vor einer Teuerung der Lebensmittel; sie waren genötigt, auf dem freien Felde Hütten aufzuschlagen, froh genug, wenn sie zu ihrer Sättigung nur Gras fanden. Wegen der übergroßen Dürre war nämlich nichts Grünes zu sehen, und nur die Wurzeln der Kräuter waren vorhanden. Es starben ihrer eine große Menge auf dem freien Felde; niemand begrub sie, so sehr hatte der Hunger die überlebenden ermattet.
Als die Juden bei der schweren Hungersnot sich auf einem Felde in der Nähe von Fez aufhielten, begab es sich, dass mancher von ihnen nach der Stadt ging und um ein Stück Brot seinen Sohn als Sklave verkaufte. Aber der damals regierende König war ein frommer Mann, und nachdem die Hungersnot vorüber war, ließ er öffentlich ausrufen, dass jeder, der einen Judenknaben um Brot gekauft habe, ihn ohne Ersatz seinen Eltern zurückgeben solle.
An einem Orte unweit Fez befand sich ein von Heiden bemanntes großes Schiff. Mehrere israelitische Knaben pflegten in der Nähe jenes Ortes, der Saleh hieß und dicht am Meere lag, sich Nahrung zu suchen, wo immer sie etwas fanden. Der Herr des Schiffes rief sie ans Ufer und gab jedem von ihnen ein Stück Brot. Als sie das Brot sahen, freuten sie sich über die Maßen und teilten die Nachricht anderen Knaben mit. Am Tage darauf kamen etwa hundertundfünfzig Knaben dorthin ans Ufer. Der Schiffsherr forderte sie auf, in das Schiff zu kommen, dann wolle er ihnen Brot zur Genüge geben. Aber als sie darin waren, lichtete er die Segel und führte sie alle fort. Als dies in dem Lager der Juden bekannt wurde, und besonders als es die Frauen vernahmen, eilten sie mit großem Geschrei ans Ufer, aber da war niemand, der ihnen helfen konnte. Da erhoben die Mütter der Kinder ein Klagen und Weinen, desgleichen niemals gehört worden. Jener Räuber sonderte die blühendsten und schönsten Knaben aus und machte den Vornehmen des Landes ein Geschenk mit ihnen; den Rest verkaufte er nach einem fremden Lande.
Aus „Schebet Jehuda” [Zuchtrute Judas], 155o. S 53—55 von R. Salomo ibn Verga [Geschichtsschreiber, Marrane, aus Sevilla, lebte im 15. und 16. Jahrhundert, setzte in Adrianopel das Werk fort, das sein Vater Juda begonnen und sein Sohn Joseph ergänzt und veröffentlicht hat]. Julius Höxter, Quellenlesebuch zur jüdischen Geschichte und Literatur. II. Teil, Frankfurt a.M. 1927, S. 129-130
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