Vertreibung der Juden aus England. Frühneuzeitlicher jüdischer Bericht über die Ereignissen im Jahre 1290
Nachdem dieses Vorkommnis (Übertritt eines Mönches, der eine Jüdin heiratete, zum Judentum) bekannt geworden war, ließen die Mönche den König und die Königin, die einen aus ihrer Mitte zum Beichtvater hatte, gegen die Juden aufhetzen. Sie (die Mönche) betrachteten nämlich das Vergehen jenes Mannes als ein sehr schweres Unrecht. Obendrein wurden sie wegen des Vorfalls von dem Volke verachtet und in ihrer Ehre gekränkt, was sie noch mehr erbitterte. Seitdem unterließen sie nie, in den Predigten auf der Kanzel gegen die Juden ausfällig zu werden. Hierdurch fasste in dem Herzen des Volkes ein glühender Hass gegen mich Wurzel, und es wurde eine Gelegenheit gesucht, bei der es seine Wut an mir auslassen könnte. Neben anderen Beschuldigungen und falschen Zeugnissen, die man, obwohl sie, als erlogen, in sich selbst zusammenfielen, wider mich vorbrachte, behauptete man auch, dass ich Geld präge, für welche Verleumdung sie leicht (falsche) Beweise erbringen konnten. Einst versammelte sich, nach Verabredung, viel Volk mit Münzen in den Händen, die sie, um die armen Juden anzuklagen, zu diesem Zwecke insgeheim in ihren Häusern geprägt hatten. Sie behaupteten nämlich, sie von den Juden bekommen zu haben. Viele liefen da noch herbei, in die Anklage einzustimmen, damit das Zeugnis aufrechterhalten bleibe.
Nachdem die Gerichte die Klage angenommen hatten — es hatte nicht viel Mühe gekostet, sie gegen mich einzunehmen — wurde nun mit Zustimmung des Königs erkannt, dass alle meine Söhne aus dem Königreiche verbannt werden und ihrer Habe verlustig gehen sollten. Diese Vermögensentziehung wurde statt der Todesstrafe ausgesprochen, die nach den Landesgesetzen auf dieses Verbrechen gesetzt war. Als nun die Mönche sahen, dass die armen Juden bedrückt wurden und nur geringe Mühe erforderlich war, um sie ganz aus dem Lande zu schaffen, kamen sie auch bald mit ihrer anderen Klage hervor, dass die Juden in einem christlichen Lande einen Mönch zu ihrer Religion bekehrt hätten und dass sie sich, zur Wiedervergeltung, alle zum Christentum bekehren oder den Tod erleiden müssten.
Nun gingen damals schon die Absichten des Königs, des Adels und des ganzen Volkes dahin, mich zu vernichten, und jeder kleine Anlass war geeignet, Pulver und Schwefel in das scheinbar schlummernde Feuer zu schütten. Also wurde der Klage der mir feindlichen Mönche, ganz wie sie es gefordert hatten, stattgegeben. Sie entrissen die kleinen israelitischen Kinder ihren Eltern und schickten sie nach Norden ans andere Ende der Insel. Dort erteilte man ihnen Unterricht in der christlichen Glaubenslehre, damit sie, von ihren Eltern getrennt, ihres alten Gesetzes nicht mehr gedenken und vollständig die Liebe zu der jüdischen Religion, die sie mit der Muttermilch eingesogen hatten, verlieren sollten. Von den Eltern erlagen viele der Qual, welche ihnen die Trennung von ihren Kindern bereitete. In Ausführung des ersten Urteils wurden die Überlebenden mit solcher Härte aus dem Königreiche verbannt, dass es Steine hätte zum Mitleid bewegen können, zumal sie sehen mussten, wie Fleisch von ihrem Fleische, ihre Kinder, zurückblieben. So ließ man sie, gegen menschliches und göttliches Recht, zweifachen Tod oder zweifache Strafe für ihre (vermeintlichen) Verbrechen erleide, während doch, nach allen Gesetzen, niemand mehr als einmal bestraft werden soll. Von den Zurückbleibenden wurde das ganze Königreich übersäet. Hiervon findet man noch jetzt viele Spuren, wie die in Kirchen umgewandelten Synagogen, sowie viele Leute, die jüdische Namen tragen ...
Aus: Samuel Usque, 1553 in Ferrara, Dichter und Geschichtsschreiber, „Consolavam as tribulacoes de Ysrael” Trost für die Trübsal Israels. Julius Höxter, Quellenlesebuch zur jüdischen Geschichte und Literatur. III. Teil, Frankfurt a.M. 1927, S. 104-105.
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