Im Staatsarchiv Marburg ist eine Akte der Polizeidirektion Fulda über die antijüdischen Hepp-Hepp-Ausschreitungen des Jahres 1819 vorhanden, die vor allem die Unruhen in Fulda schildert. Dieser Akte ist der nachstehende Situationsbericht entnommen, an dem sich sehr gut die Vorgänge während der Auschreitungen ablesen lassen.
Transkription:
Verzeichnis der Anzeigen und spuren von Bewegungen und Unruhen wider die Juden im Großherzogthum Fulda, welche seit dem 13. de. M. bis zum 19. desselben Monats bey der hiesigen Polizeidirection gemacht, respective entdeckt worden sind, und der dagegen getroffenen Vorkehrungen.
Am 13ten August
Zeigte der Jude Löb Oppenheimer aus Fulda an, daß der Tagelöhner Ignaz Hack am 10ten d. M. in der Wohnung des Handelsmanns Feurstein dahier gegen ihn geäußert habe: „Du Lumpenhund hast mit Geisen gehandelt und bist jetzt ein reicher Schmarolle; wenn jetzt die Würzburger Beschichte hier loß geht, so spalte ich dir zuerst den Kopf von einander.“
Des Abends um 7 1/2 Uhr wurde die Frau des vorerwähnten Löb Oppenheimer auf der Promenade in der Allee zwei Mal mit einem Stein geworfen und am linken Arm getroffen. Gegen 9 Uhr Abends zeigte der Polizei-Hauptmann Geiß an, daß es in der Judengasse und deren Nähe ungewöhnlich lebhaft sey, daß zahlreiche Trupps junger Leute, Handwerksbursche und dergleichen, auf und ab gingen und von dem Hep, Hep! Rufen gesprochen werde. Der Herr Comandant der Garnison wurde deshalb mündlich um Verfügung der nöthigen Militär-Patrouillen ersucht, dem Polizei-Hauptmanne aber die angemessene Vertheilung und Aufstellung des Polizei-Personals aufgetragen, um bey bedenklicher Anhäufung junger Leute, oder wenn sogar wirkliche Excesse versucht werden wollten, alsbald ins Mittel zu treten, durch Ermahnung zum ruhigen Auseinandergehen und durch etwa nöthige Arretirung.
Am 14ten August
Gingen von verschiedenen Seiten amtliche und Privat-Anzeigen ein, daß man sich an mehreren Orten lebhaft gegen die Juden äußere und Excesse gegen dieselben leicht Eingang finden könnten.
Am 15ten August
Dauerten diese Anzeigen fort, besonders in Beziehung auf junge Leute und auf die gewöhnlichen Kunden der Wirthshäuser. Die deshalb am 13ten d.M. mündlich getroffenen Verkehrungen wurden nun schriftlich wiederholt, und sind bereits dem allerunterthänigsten Berichte vom 17ten d.M. n der Anlage B allerdevotest beygefügt worden.
Am 16ten August
Des Morgens frühe gegen 4 Uhr wurde in der Schmittgasse dahier ein Exemplar des Aufrufs oder Circulars an die Bürger der Stadt Fulda gefunden wovon eine genaue Abschrift mit dem allerunterthänigsten Berichte vom 17ten d.M. und sodann das Original selbst mit dem allerdevotesten Berichte vom 21ten d.M. allersubmissest eingereicht worden. Die Nachforschungen zur Entdeckung des Urhebers oder Verbreiters hatten bisher keinen günstigen Erfolg. Um 8 Uhr Morgens zeigten die Vorgänger der hiesigen Stadtjudenschaft, Meier Epstein und Simon Loser an, daß sie aus vielen Äußerungen des Publicums ähnliche Excesse, wie zu Frankfurt und Würzburg vorgefallen seyen, befürchten mußten und daher um polizeilichen Schutz bitten wollten. Zugleich überreichten sie einen hebräischen Brief des Landjuden-Vorgängers Levi Speier zu Burghaun, worin derselbe eine gleichmäßige Anzeige in Beziehung auf das platte Land machte, und ebenfalls um obrigkeitliche Einwirkung bat: Eine Übersetzung dieses Briefes befindet sich unter der Anlage des allerunterthänigsten Berichts vom 21ten d.M. Es wurden auf diese Anzeigen alsbald die nöthigen Warnungen durch die Beamten, Gassenmeister und Vorsteher der verschiedenen Lehranstalten erlassen, worüber die Anlage C und D meines allersubmissesten Berichts vom 17ten d.M. das Nähere enthalten.Nachmittags zeigte der Polizei-Hauptmann an, daß obige Warnung dringend nothwendig gewesen sey, da bey Bekanntmachung derselben in den Schulen schon von vielen Knaben beäußert worden, daß sie angereizt seyen, in die Judengasse zu gehen und dort Hep Hep! zu rufen, einige auch gleich eingestanden hätten, wirklich so gerufen zu haben. Ferner zeigte derselbe an, daß auch der Flurschütze Schwab heute Morgen in und vor der Krausischen Schanke jenen Ausruf gethan habe; Schwabe wurde alsbald in Arrest gebracht. Die Jüdin Heilbronn gab an, daß sie am Morgen, als sie durch die Löhersgasse gegangen, vor dem hause des Wirthes Konrad Knips mit einem Steine so vor den Kopf geworfen worden, daß sie fast ohnmächtig zur Erde gesunken, und dann noch von einem unbekannten Menschen vor der Thüre des Knips geschimpft worden sey. Abends war viel Bewegung auf den Straßen, Trupps junger Leute und Handwerksbursche auf der sogenannten Tanzhütte, einem öffentlichen Platze in der Nähe der Judengasse. Die Judenvorgänger Meier Epstein und Löser Simon zeigten um 9 Uhr an, daß ein zahlreicher Haufe junger Leute sich bewaffnet bey dem Todtenhofe der Juden außerhalb der Stadt versammelt, und heftige Drohungen gegen die Juden ausgestoßen habe. Der Polizeiwachtmeister wurde deshalb mit einer Militär-Patrouille und mündlicher Instruction hinausgeschickt, referirte hernach aber, daß bei seiner Ankunft am Todtenhofe sich der Haufen schon wieder zerstreut gehabt habe. - Maier Epstein klagte ferner, daß der Sohn des Sattler Oswald ihm, in Beyseyn des Vaters, Hep, Hep! nachgerufen; das der Ladendiener des Kaufmanns Arndt am Kaiser-Rumpf dem Bauer Bolz auf Margarethenhöhe gesagt habe, die Juden würden bis zum nächsten Donnerstag alle for müssen, daß ein Jude aus Wüstensachsen, auf dem Wege nach Fulda von den Bauern in Dipperz gefragt worden, ob er denn nach Fulda ins Feuer gehen wolle? Die Juden hätten sich hier schon in das dritte Stockwerk ihrer Haeuser flüchten müssen. Nach 10 Uhr Abends wurde der Buchbindergeselle Schenk, als er beym Weggehen aus der Kramerschen Schänke in der Judengasse Hep, Hep! gerufen, von dem Polizei-Posten arretirt und dann mit sechs Stunden Arrest bestraft. gegen 11 Uhr war alles ruhig.
Am 17ten August
Kamen noch verschiedene Anzeigen gegen Schulknaben p. wegen jenes Ausrufes ein, welche mit Ermahnungen und nachdrücklichen Warnungen an die vorgeladenen Aeltern geahndet und zugleich die geringen Spuren des Verfassers des gestern gefunden Aufrufs gegen die Juden bey den hiesigen Schreiblehrern, jedoch fruchtlos, verfolgt wurden. Abends spät wurde in Erfahrung gebracht, daß noch ein zweites Exemplar dieses Aufrufs gefunden worden, und zwar ind er Löhersgasse (:Frankfurter Vorstadt:) von einem hiesigen Bierbrauer Namens Kobel. Auch hier ergab sich keine weitere Spur des Verfassers und Verbreiters, da Kobel sowohl all der Finder des ersten Exemplars alle Kenntniß des etwaigen Verfassers oder Verbreiters in Abrede stellten und dieses eidlich erhörten wollten; die Vernehmung der Schreiblehrer hatte eben so wenig Erfolg.
Am 18ten August
War allgemeine Ruhe
Am 19ten August
Kam nur noch zur Anzeige, daß ein kleiner Schulknabe am Stiftsplatze der Ehefrau des Moses Stern Hep, Hep! nachgerufen habe.
Am 20ten bis 24ten August
Allgemeine Ordnung und Ruhe
Arbeitsaufträge:
1. Wie haben die Hepp-Hepp-Krawalle gemäß dem Polizeibericht in Fulda begonnen?
2. Wer nahm an den Ausschreitungen teil? Was könnte bei den verschiedenen Teilnehmern die Motivation gewesen sein, sich an den Ausschreitungen zu beteiligen?
2. Wie reagierte die Polizei bzw. das Militär auf die Unruhen gegen die Juden?
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