Als die totalitären Systeme in Mittel- und Osteuropa zusammenbrachen und die Demokratie dort dic Oberhand gewann, und als dann, als Konsequenz hieraus, der Eiserne Vorhang, der Europa geteilt hatte, ebenfalls fiel, in diesen ersten Wochen und Monaten der Freiheit - Wochen und Monate voller Enthusiasmus - erschien uns alles klar und einfach: Der Warschauer Pakt, ein Relikt des Kalten Krieges und formeller Ausdruck unserer Satellitenposition und Unterordnung unter Stalins und später Breschnews Sowjetunion - dieser Warschauer Pakt würde friedlich aufgelöst werden, während die NATO ihre Umwandlung weiter schnell vorantreiben würde, um so möglicherweise in einer völlig neuen Sicherheitsstruktur aufzugehen, die ganz Europa abdecken und es auf der einen Seite mit dem Nordamerikanischen Kontinent und auf der anderen Seite mit der ehemaligen Sowjetunion verbinden würde. Es schien uns, daß die angemessenen politischen Rahmenbedingungen für die Schaffung einer solchen Sicherheitsstruktur durch die KSZE geboten werden könnten, die notwendigerweise neue Impulse und eine neue Ordnung erhalten würde. Es schien uns, daß ein so weitreichendes System von Sicherheitsgarantien einen guten Hintergrund und zugleich eine Garantie liefern könnte für ein Europa auf dem Weg zur Integration. Wir wußten von Anfang an, daß die NATO jetzt das einzige funktionierende und zeiterprobte Verteidigungsbündnis auf europäischem Boden, eine wichtige Rolle in diesem Prozeß spielen würde. Wir glaubten, daß die NATO ein solider Kern, Eckstein oder Stützpfeiler einer solchen zukünftigen paneuropäischen Sicherheitsunion sein könnte. Wir in der Tschecheslowakei waren mit solchen Gedanken nicht alleine - die Überlegungen einiger anderer europäischer Politiker und eines beachtlichen Teils der Öffentlichkeit gingen in ähnliche Richtungen ....
Dennoch, wie ich schon sagte, wird der Fortschritt hin zu dieser Vision wahrscheinlich komplizierter sein als es ursprünglich schien, und die Umstände verlangen von uns, daß wir bei all unseren kühnen Gedanken an eine zukünftige Ordnung nicht versäumen sollten, die Probleme und Gefahren des Augenblicks zu berücksichtigen und angemessene Konsequenzen zu ziehen. Ich möchte die gewichtigeren dieser Probleme nur kurz erwähnen.
1. Es ist offensichtlich geworden, daß der Aufbau demokratischer Systeme und der Übergang zu Marktwirtschaft in den Ländern Mittel- und Osteuropas von mehr Hindernissen betroffen sind, als ursprünglich erwartet wurde und daß das unselige Vermächtnis, das diese Länder zu bewältigen haben, tiefer geht und weiter verzweigt ist als irgendjemand sich vorstellen konnte. Die allgemeine Demoralisierung, die das kommunistische Regime hinterlassen hat, ist tief verwurzelt, und der Schock für die Gesellschaft, ausgelöst durch die plötzliche Invasion ihres Lebens durch die Freiheit, war unerwartet stark. Unsere Länder sehen sich der Bedrohung politischer und sozialer Unruhe, materieller Entbehrungen, krimineller Aktivitäten, zu nehmend intensiver Gefühle der Hoffnungslosigkeit in der Gesellschaft und folglich auch der Gefahr des Populismus gegenüber. Die dort errichteten Demokratien sind sehr zerbrechlich und deswegen leicht zu verletzen, da jedes ihrer Elemente eine fundamentale Veränderung durchmacht. Die Wirtschaften dieser Länder werden kaum fähig sein, sich in absehbarer Zukunft ohne massive ausländische Hilfe zu erholen. Der völlig unnatürliche Markt, basierend auf dem Zwangsaustausch von Waren schlechter Qualität, der über Jahre innerhalb des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe aufrechterhalten wurde, ist zusammengebrochen und die Unternehmen sehen sich unter den neuen Voraussetzungen bei der Suche nach neuen Märkten für ihre Produkte in Schwierigkeiten.
2. Der lange unterdrückte Wunsch nach Selbstbestimmung der Völker Mittel- und Osteuropas hat sich plötzlich in all seiner nicht bedachten Dringlichkeit bemerkbar gemacht, einige Male als Nationalismus, Xenophobie und Intoleranz gegenüber anderen Nationalitäten.
3. Einige Aspekte der Entwicklungen in der Sowjetunion geben uns triftige Gründe zur Beunruhigung. Der Portschritt in Richtung Demokratie, Selbstbestimmung der Völker und einer funktionierenden Wirtschaft in der Sowjetunion wird von ernsten Komplikationen behindert…
Dem Westen dessen Zivilisation auf universellen Werten basiert, kann das Schicksal des Ostens nicht gleichgültig sein, aus Prinzip-, aber auch aus praktischen Gründen. Instabilität, Armut, Unglück und Unordnung in den Ländern, die sich von despotischer Herrschaft befreit haben, können für den Westen genauso bedrohlich werden wie die Waffenarsenale der ehemaligen despotischen Regierungen. Was die Menschen im Osten aus gutem Grunde fürchten sollte auch dem Westen ein Grund zur Furcht sein. Ich weiß, daß Ihnen das alles wohl bewußt ist und daß Sie uns deshalb eine helfende Hand entgegenstrecken ....
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