Jüdischer Bericht über die Pogrome von 1096 in Speyer und Worms, verfasst vom sog. "Mainzer Anonymus" ca. 1097-1140
Während sich Historiker heute um Neutralität bemühen, wenn sie Geschichte beschreiben, war es im Mittelalter völlig normal, dass eigene Überzeugungen und Interessen in die Darstellung einflossen. Um ein möglichst authentisches Bild historischer Ereignisse zu erhalten, bedarf es möglichst vieler verschiedener Blickwinkel. Die drei erhaltenen Chroniken aus jüdischer Sicht, die die Ereignisse der Kreuzzugspogrome von 1096 beschreiben, bieten uns eine wertvolle zusätzliche Perspektive zu den übrigen christlichen Quellen. Eva Haverkamp edierte die erhaltenen Texte von Salomo bar Simson, Elieser bar Nathan und dem Mainzer Anonymus 2005 neu und liefert damit eine willkommene Ergänzug für die Betrachtung der Situation der Juden Ende des 11. Jahrhunderts. Gerade die Lebenssituation in der jüdischen Gemeinde lässt sich aus diesen Quellen herauslesen und ebenso wird die Grausamkeit der Ereignisse zur Zeit der ersten Kreuzzüge auf anschauliche und schockierende Weise greifbar.
Urban II. hatte 1095, vornehmlich um die Christen in Jerusalem vor den Muslimen, die ebenfalls Anspruch auf die heilige Stadt erhoben, zu schützen, zum ersten Kreuzzug aufgerufen. Im Frankenreich mobilisierten Prediger die Massen, die 1096 schließlich von Westen nach Osten auch durch die deutschen Reichsteile zogen. Alle Kreuzfahrer mussten mit Lebensmitteln vorsorgt werden, was eine nahezu unmögliche Aufgabe darstellte. Schon daraus ergaben sich Plünderungen im eigenen Reich. Durch die Hasspredigten aufgewiegelt, richtete sich alle negative Energie schon bald gegen jene, die keine Christen waren. Bewaffnete Horden aus allen gesellschaftlichen Schichten, die sich durch die Suche nach ihrem Seelenheil legitimiert fühlten, stellten die Juden in einigen Städten vor die Wahl „Tod oder Taufe“. Es entstand eine Bewegung unter den Juden, die den Freitod einer Taufe vorzogen. Diesen Märtyrertod nannten sie Kidusch haSchem – die „Heiligung des göttlichen Namens“. Aus dem Märtyrertod wurde das Recht auf ewiges Leben in der kommenden Welt abgeleitet. Diese Praxis wurde aber von einigen Seiten auch stark kritisiert.
Juden opferten im Gedenken an Abrahams Opferung Isaaks in einigen Fällen auch zuerst ihre Kinder und töteten sich dann selbst. Dies wurde von den christlichen Quellen sehr negativ aufgenommen. Es ist darüber hinaus anzunehmen, dass die Ritualmordanklagen des Spätmittelalters auf die Umdeutung durch die Christen zurückzuführen sind, die Juden töteten ihre Kinder aus rituell-religiösen Zwecken und würden dafür, in Anlehnung an die Tötung Christi, lieber noch christliche Kinder entführen. Eine harte und irrationale Anschuldigung, deren gedankliche Entstehung ihre Erklärung in den Predigten gegen Andersgläubige und in Entfremdungstendenzen zwischen den jüdischen und christlichen Gemeinde findet.
Die Zahl der Opfer des Pogroms von 1096 sind für Mainz unterschiedlich mit 700-1300 Toten überliefert. Jedenfalls dürfte das die vorübergehende Vernichtung der Gemeinde bedeutet haben.
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