2. Außerparlamentarische Opposition und Studentenbewegung
In die Zeit der Großen Koalition fällt die Entstehung einer breiten studentischen Protestbewegung und einer öffentlichkeitswirksamen außerparlamentarischen Opposition aus Teilen der Gewerkschaft, der linken Intelligenz und der politisierten Jugend. Kristallisationspunkte der außerparlamentarischen Opposition waren die Marginalisierung der innerparlamentarischen Opposition sowie die abschließende Behandlung der Notstandsgesetzgebung im Bundestag (1967/ 68). Durch diese wurde einerseits im Verteidigungsfall oder bei inneren Unruhen die Möglichkeit zur Einschränkung von Grundrechten und zum Einsatz der Bundeswehr auch im Inneren geschaffen, falls Polizei und Bundesgrenzschutz zur Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht ausreichen sollten, andererseits beseitigten die Notstandsgesetze die bestehenden alliierten Eingriffsrechte bei inneren Notlagen.
Die Studentenbewegung hatte zunächst ihre Wurzeln in den Strukturen des Bildungswesens, insbesondere an Universitäten und Hochschulen. Der anfangs auf bildungspolitische Probleme fixierte studentische Protest eskalierte in den Jahren der Großen Koalition jedoch zu einer grundsätzlichen Rebellion erheblicher Teile der Studentenschaft gegen Staat und Gesellschaft. Diese Entwicklung wurde von mehreren Ursachen bestimmt: Hierzu gehörten die Studentenunruhen in den USA im Zusammenhang des Vietnamkrieges und der Bürgerrechtsbewegung, der sich anbahnende Wertewandel der jungen Generation, die in Frieden und Wohlstand und unter dem Vorzeichen demokratischer Ideale aufgewachsen war und in der sich eine antiautoritäre und kritische Einstellung
gegenüber den überkommenen Strukturen in Staat und Gesellschaft auszubreiten begann, und auch Einflüsse, die von einer verstärkten Propagierung neomarxistischer Theorien ausgingen (Herbert Marcuse, Horkheimer, Adorno, Frankfurter Schule). Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke (April 1968), der Verabschiedung der Notstandsgesetze (Mai 1968) und der Ablösung der Großen Koalition durch die sozialliberale Koalition (Oktober 1969) verebbte jedoch die studentische Protestwelle, und mit dem neuen Regierungsprogramm der inneren Reformen und den Sozialdemokraten als Regierungspartner der Gewerkschaften löste sich auch die außerparlamentarische Opposition weitgehend auf. Übrig blieben die nachwirkenden Politisierungserfahrungen der 68er Generation, eine Erschütterung autoritärer Verhaltensmuster in Staat und Gesellschaft, und Ansätze zu einer Demokratisierung der Hochschulen sowie eine Spektrum eher sektenhafter kommunistischer Gruppen und Grüppchen und das Abgleiten eines radikalen Teils der studentischen Bewegung und der außerparlamentarischen Opposition in den Terrorismus.
Studentenproteste gegen den Bildungsnotstand an den Universitäten und Schulen im Sommer 1965
Studenten aller Universitäten und Hochschulen der Bundesrepublik und West-Berlins demonstrieren am Donnerstag mit Kundgebungen und Protestmärschen gegen den "wachsenden Bildungsnotstand" in der Bundesrepublik. Der Verband deutscher Studentenschaften (VdS) hatte dazu 330000 Studenten in 120 Städten aufgerufen. Die Demonstrationen standen unter dem Motto "Aktion 1. Juli - Bildung in Deutschland".
Bundeskanzler Erhard bezichtigte die Studenten des Unfugs, weil sie in der letzten Zeit vielfach vom Bildungsnotstand sprechen würden. Auf dem Deutschen Handwerkertag 1965 in der Bonner Beethovenhalle sagte er, früher habe man es als Privileg betrachtet, studieren zu dürfen, und die Familien hätten dafür Opfer gebracht, aber heute solle der Staat für alles aufkommen. Er als Kanzler hoffe nur, daß die Forderung der Studentenverbände nicht der Ausdruck der Haltung aller Studenten sei.
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