Karl Schiller über Inhalt und Aufgaben der Globalsteuerung. Auszug aus einem Vortrag des Bundesministers für Wirtschaft im National Press Club in Washington am 20. Juni 1967
Die neue Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 erstmals die kritische Lage realistisch dargestellt und unverzüglich eine entsprechende Politik der konjunkturpolitischen Gegensteuerung eingeleitet. Dieses Programm, in dessen Mittelpunkt eine bewußte Politik des Deficit-spending steht, hat eine neue Ära in der deutschen Wirtschaftspolitik
eingeleitet. Die Grundlage dieser neuen Wirtschaftspolitik möchte ich zusammenfassen in der Formel, die ich bereits im Jahre 1965 einmal in einem Aufsatz in "Foreign Affairs" (Juli 1965, Seite (77) benutzt habe: the combination of the market economy, monetary and financial guidance and welfare policy.
Ich halte diese Synthese der neoliberalen marktwirtschaftliehen Konzeption (für die Regelung der mikroökonomischen Beziehungen) mit der keynesianisehen Politik (der Steuerung der makroökonomischen Größen), verbunden mit einer modernen welfare policy, für die einzige überzeugende Antwort auf den wirtschaftlichen und sozialen Wandel in unserer Zeit. Nur mit dieser
Kombination können unter den heutigen und künftigen Bedingungen der modernen Volkswirtschaft die zentralen Ziele der Wirtschaftspolitik: Stabilität des Preisniveaus, Vollbeschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes Wachstum gleichzeitig erreicht werden. Wir können und dürfen die Entwicklung der Gesamtwirtschaft nicht einfach sich selbst überlassen und nur mit gelegentlichen Ad-hoc-Interventionen und Einzeldirigismen den Wirtschaftsprozeß beeinflussen wollen. Nur so wird die Marktwirtschaft gerettet und in die zweite Phase hinübergeführt, wenn sie ergänzt wird durch eine systematische, die Marktkräfte fördernde kurz- und längerfristige Steuerung des makroökonomischen Prozesses.
Um diese neue Politik zu ermöglichen, haben die parlamentarischen Gremien in der Bundesrepublik Anfang dieses Monats mit dem "Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" ein erweitertes und verbessertes wirtschaftspolitisches Instrumentarium geschaffen. Dieses Gesetz bietet den staatlichen Instanzen die rechtliche Grundlage für eine wirksame wirtschaftspolitische Globalsteuerung, die weit über die traditionelIe Geld- und Kreditpolitik hinausgeht. Ich möchte sagen, daß es heute weit mehr darstellt, als der amerikanische employment act von 1946. Wesentlicher Anwendungsbereich dieses neuen Instrumentariums ist die Einführung moderner Fiskalpolitik, die in einem föderalistischen Staat wie der Bundesrepublik naturgemäß besondere Schwierigkeiten bereitet. Daher verfügen wir heute über ein neues Gremium: den Konjunkturrat der öffentlichen Hände (zwei Bundesminister, elf Länderminister, vier Gemeindevertreter). Das Gesetz bietet vor allem die Möglichkeit, je nach Konjunkturlage die öffentlichen Ausgaben oder Einnahmen kurzfristig und antizyklisch auf der Grundlage einer längerfristigen Finanzplanung zu erhöhen und zu vermindern. Ich will hier nur zwei Beispiele erwähnen:
- Der Bundesfinanzminister kann bei einem Schrumpfen der Nachfrage nach § 6 Abs. 3 des Gesetzes zusätzliche Kredite bis zur Höhe von 5 Mrd. DM aufnehmen.
- Nach §26 kann die Bundesregierung mit einem verkürzten parlamentarischen Zustimmungsverfahren die Einkommen- und Lohnsteuer um 10 v. H. nach oben oder unten variieren.
Damit haben endlich- wenn auch mit einem deutlichen time-lag hinter den USA - der Keynes der "general theory" von 1936 und die nachfolgende moderne neoklassische Synthese in Deutschland ihren Einzug gehalten.
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