Ludwig Bamberger, Deutschthum und Judenthum, 1880
Sepparatabdruck aus: Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart, 2. Aufl., Berlin 1880. Zit. nach: Der „Berliner Antisemitismusstreit” 1879-1881, bearb. von Karsten Krieger, Teil 1, München 2004, S. 217, S. 223f. S. 242f. 6-16
Im Januar 1880 veröffentlichte der prominente, nationalliberale deutsch-jüdische Politiker Ludwig Bamberger in der Kulturzeitschrift „Unsere Zeit” diesen Aufsatz, der wenig später als Broschüre veröffentlicht wurde. Bamberger sah im modernen Antisemitismus den Ausdruck einer „seit Jahrhunderten fortgezeugten Antipathie” und wies darauf hin, daß die pseudowissenschaftliche Unterscheidung einer „semitischen” und einer „germanischen” Rasse erst in dem Augenblick als Legitimationskriterium für die rechtliche Ausgrenzung der Juden aus der inzwischen weitgehend säkularisierten deutschen Gesellschaft herangezogen wurde, als sich diese Ausgrenzung nicht mehr religiös begründen ließ. Allerdings teilte Bamberger die typisch bildungsbürgerliche Überzeugung, daß schließlich „Bildung und Humanität” den Rassismus überwinden würden. In seinem überzeugend argumentierenden und zugleich ironisch gehaltenen Aufsatz deckte der Autor das Zusammenspiel zwischen Antisemitismus, Anti-Liberalismus und Nationalchauvinismus in Treitschkes Artikel „Unsere Aussichten” auf. Klar durchschaute er Treitschkes Taktik, durch die möglichst abstoßende Chrakterisierung des Feindbildes „Jude”, desto großartiger das eigene nationale Selbstbild vom „wahren Deutschen” er-scheinen zu lassen: „Je mehr Haß, desto mehr Tugend!”, - womit der Kampf gegen den „inneren Reichsfeind” eröffnet worden sei. Wo Treitschke angesichts der fiebrigen Erregung der Nation gegenüber den Juden ein heilendes Wort der Versöhnung habe sprechen wollen, sei er tatsächlich nicht „Arzt”, sondern selber „Patient”. Schließlich, so Bamberger, solle man die Auswirkungen der momentanen Judenhetze auf die Schule und damit auf künftige Generationen bedenken. Als „Lehrer der reifem Jugend” hätte Treitschke hier mit einem gutem Beispiel zur Versöhnung vorangehen können.
[...] Der Aufsatz, an dessen Schluß die Judenfrage behandelt wird, richtet seine Spitze gegen den Liberalismus. Sind schon die Juden von jeher liberal gewesen, so ist insbesondere einer der hervorragendsten Führer jenes parlamentarischen Liberalismus, der bei Herrn von Treitschke eben in Ungnade steht, ein Jude. Der Angriff gegen die Juden ist nur eine Diversion im heutigen großen Feldzuge gegen den Liberalismus, und ohne Zweifel hat dieser Zusammenhang das Seinige dazu beigetragen, Herrn von Treitschke auf dies Gebiet zu führen. Er behauptet, die Erregung gegen die Juden sei so groß, daß bei der breslauer Wahl Lasker ihr Opfer geworden sei. In Wahrheit aber verhält sich die Sache, wie jeder Kenner der localen Verhältnisse weiß, umgekehrt. Lasker wurde als der Mann des linken Flügels der Nationalliberalen bekämpft, und an die judenfeindlichen Traditionen wurde nur appellirt, um die Gegnerschaft zu vermehren. Ein gut Theil des Zorns gegen die Juden kommt allerdings daher, daß sie liberal gesinnt sind. Das müssen sie sich schon gefallen lassen. Sie haben in deutschen Parlamenten von jeher auf den Bänken der Linken gesessen. Nur zwei jüdische Abgeordnete früherer Reichstage saßen auf der Rechten, Dr. Strousberg und Herr von Rothschild, vermuthlich weil sie verzeihlicherweise als Fürstlichkeiten der Finanz dies ihrer Stellung innerhalb der Aristokratie schuldig zu sein glaubten.
Und endlich viel mächtiger noch als durch das momentane taktische Bedürfniß wird Herr von Treitschke durch den Grundzug seines ganzen seelischen Wesens in dies Treiben mit hineingezogen. Es gab immer und überall und es gibt zur Zeit in Deutschland besonders viele Schwärmer, die den Feuereifer für ihr eigenes Ideal nicht wirksamer schüren zu können vermeinen, als indem sie alles andere geringschätzen oder hassen. Gerade der Cultus der Nationalität trägt diese Versuchung mehr als jeder andere in sich und artet leicht dahin aus, den Haß gegen andere Nationen zum Kennzeichen echter Gesinnung zu machen. Von diesem Haß gegen das Fremdartige jenseit[s] der Grenze bis zum Haß gegen das, was sich etwa noch als fremdartig in der eigenen Heimat ausfindig machen läßt, ist nur ein Schritt. Je mehr Haß, desto mehr Tugend! Wo der Nationalhaß nach außen seine Schranke findet, wird der Feldzug nach innen eröffnet. Je enger der Cirkel der Bekenner gezogen werden kann, desto reiner lodert die Flamme auf dem Altar. Treitschke selbst kann nicht umhin, daran zu erinnern, daß die Judenverfolgungen von 1819 mit dem Teutonismus zusammenhingen.
[...]
Die Stellung, welche Herr von Treitschke zur Frage genommen, hat bereits zahlreiche Erwiderungen hervorgerufen. Das wird nun zu neuen Vorwürfen führen. Die einen werden sagen, daß man die Sache zu tragisch nehme, die andern, daß man sich zu empfindlich zeige, noch andere, daß man der Aeußerung eines Einzelnen zu viel Gewicht beilege. Aber in Dingen, in welchen Stimmung und Empfindung so stark mitspielen, genügt oft ein einziger schriller Miston, um auf lange hinaus schädlich zu wirken. Ein socialer und geistiger Verschmelzungsproceß kann durch das Hineinfallen eines einzigen ätzenden Tropfens aufgehoben und zerstört werden. Noch haben die deutschen Staatsregierungen sich ganz correct gehalten. Könnten die, welche sie auch hierin zu alten Misbräuchen zurückführen wollen, nicht mit Treitschke's Anklageacte in der Hand an sie appelliren? Thun sie es nicht schon? Und Eins insbesondere übersehe man nicht: die Rückwirkung auf die Schule. Bereits verlautet wie-der einmal, daß hier und da einzelne Lehrer den Unfrieden unter ihre Schüler aussäen. Das Kindesalter ist nicht zur Barmherzigkeit geneigt, ist zur Verfolgung nur allzu leicht anzureizen. Was aber den kindlichen Gemüthern in der Schule eingepflanzt wird, genügt, um den verderblichen Rassen- und Glaubenshaß für Generationen unausrottbar zu machen. Herr von Treitschke, selbst ein beliebter Lehrer der reifem Jugend, thäte ein gutes Werk, wenn er von der patriotischen Mahnung, die er an die deutschen Juden richtet, vor allem auch guten deutschen Christen des Lehrfaches etwas zu Gemüthe führte! [...]
Arbeitsaufträge:
- In welchen politischen Zusammenhang ordnet Bamberger Treitschkes Äußerungen zum Antisemitismus ein? Welche politische Stoßrichtung implizieren aus seiner Sicht Treitschkes Thesen?
- Was ist nach Bamberger die Kehrseite des "Cultus der Nationalität"?
- Welche zwei Gefahren meint Bamberger in Treitschkes Worte zu erkennen?
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