Das entscheidende Wirkungsprinzip des "real existierenden Sozialismus" war Gewalt: Es gab die direkte offene Gewalt durch Mord, Folter, Schießbefehl, Inhaftierung und Ausbürgerung, und es gab die indirekte Gewalt durch Rechtsunsicherheit, Repressalien, Drohungen, Beschämungen, durch Indoktrination und durch ein System von Nötigung, Einschüchterung und Angst. Mit "demokratischem Zentralismus" war ein gnadenlos autoritäres Herrschaftssystem verharmlosend umschrieben, das als ständige Einbahnstraße nur von oben nach unten Maßnahmen und Entscheidungen "durchstellte". In der Gegenrichtung lief gar nichts. Die Parole "Plane mit, arbeite mit, regiere mit!" war der blanke Hohn, denn jede Initiative von unten blieb nicht nur ohne sinnvollen Effekt, sondern hat den eigenständig Mitdenkenden und Handelnden fast automatisch zum Provokateur, Unruhestifter. "Weltverbesserer" (konnte ein einzelner denn bessere Erkenntnisse haben als die allmächtige Partei?) gestempelt. So lief man sich mit innovativer Aktivität und Kreativität nicht nur wund, sondern wurde regelmäßig diffamiert, belehrt und eingeschüchtert. Die errichtete Diktatur ergoß sich als ein System von Nötigungen über den Alltag der DDR-Bürger: Gehorchen, Lippenbekenntnisse liefern, sich an Kundgebungen, Veranstaltungen, Initiativen, Wettbewerben, Programmen beteiligen, Massenorganisationen beitreten, Losungen, Parolen und verzerrte Wahrheiten über sich ergehen lassen und wenn es ganz schlimm kam, nachplappern. Jeder Widerstand wurde systematisch gebrochen. War man noch Kind, dann durch Belehrung, Beschämung, Ausgrenzen und Distanzieren. War man erwachsen, dann durch Behinderung, Bedrohung und Bestrafung. Die ganz einfachen Rechte eines jeden Menschen, die Rechte auf unverstelltes Dasein, auf eine eigene Meinung, auf Verstanden- und Angenommensein in den persönlichen Eigenarten, auf Individualität, waren in dieser Gesellschaft nirgendwo gesichert. Die Rechte auf Gemeinschaft, auf Bildung, auf Förderung und Entwicklung, auf Anerkennung wurden nur gewährt bei Wohlverhalten und Unterwerfung unter die Normen der Macht. Wohnungen, Reisen, Auszeichnungen, berufliche Karriere waren Privilegien für die Meister der Verstellung und Anpassung. In diesem System konnte nur halbwegs unbehelligt leben, wer sich anpaßte und das heißt, wer seine spontane Lebendigkeit, seine Offenheit und Ehrlichkeit, seine Kritikfähigkeit dem öden und einengenden, aber relativ ungefährlichen Leben eines Untertanen opferte. Wer ehrgeizig war und zur Geltung kommen wollte, mußte "mit den Wölfen heulen" und der Preis für seinen Erfolg war unvermeidbar der Verlust an moralischer Würde und persönlicher Integrität. ...
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