3. Terrorismus als neue innenpolitische Herausforderung
Der Terrorismus stellte neben der Wirtschaftskrise die größte innenpolitische Herausforderung der sozialliberalen Koalition dar. Radikalisierte Mitglieder der studentischen Protestbewegung gingen 1970 in den Untergrund, um einen terroristischen Kampf gegen den „Weltimperialismus“ vorzubereiten. Es bildete sich die "Rote Armee Fraktion" (RAF), die auch nach der Verhaftung der ersten Generation ihrer Mitglieder weiter existierte, daneben entstanden andere mit der RAF sympathisierende Terrorkommandos. Führende Persönlichkeiten aus Staat und Wirtschaft wurde das Ziel ihrer Terroranschläge.
Zur besseren logistischen Absicherung und ideologischen Rechtfertigung strebten die Terrorgruppen eine Verbindung mit dem internationalen Terrorismus an, wobei in den siebziger Jahren vor allem palästinensische Ausbildungslager, in den achtziger Jahren auch Ausbildungsstätten des DDR-Staatssicherheitsdienstes terroristisches Handwerkszeug vermittelten. Aussteigern aus der RAF gewährte die DDR darüber hinaus - versehen mit einer neuen Identität - „politisches Asyl".
Die Bekämpfung des Terrorismus stellte den Staat vor die doppelte Aufgabe: einerseits einen hinreichend leistungsfähigen Sicherheitsapparat aufzubauen, ohne die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik zu beeinträchtigen, und andererseits dem politischen Terrorismus den Nährboden zu entziehen. Zu diesem Zweck wurden neue sicherheitsdienliche Gesetze beschlossen, das Bundeskriminalamt ausgebaut (1969: 933 Planstellen und ein Budget von 22,4 Millionen Mark; 1975: 2237 Stellen lind 156,8 Millionen Mark), neue elektronisch gestützte Fahndungsmethoden entwickelt und von den Ministerpräsidenten der Länder der sogenannte „Radikalenerlaß" verabschiedet, der sich allerdings nicht gegen die Terroristen selbst, sondern gegen jene verfassungsfeindlichen Systemveränderer richten sollte, die den "Marsch durch die Institutionen" (Rudi Dutschke) anzutreten gewillt waren. Manche dieser Maßnahmen blieben umstritten, da sie nach Meinung der Kritiker rechtsstaatliche Grundsätze verletzten.
Als weitgehend ergebnislos erwies sich der Versuch, auf dem Wege der Ansprache die Terroristen zur Umkehr zu bewegen. Eingeschlossen in die nach außen abgekapselte Eigenwelt ihrer Gruppe steigerten sich die Terroristen eher weiter in jene wahnhafte Wahrnehmungsverzerrung der politischen Wirklichkeit hinein, die schon bei Teilen der Studentenbewegung zu beobachten gewesen war, die die Bundesrepublik als "faschistoid" einstuften. Auch nach dem Übergang in die achtziger Jahre und nach dem Ende der sozialliberalen Koalition sollte sich das Terrorproblem zwar als eingegrenzt, aber letztlich ungelöst erweisen. Allerdings war im Unterschied zu den siebziger Jahren eine Klimaveränderung eingetreten. Eine ursprünglich relativ breite Sympathisantenszene, die aus der Gemeinsamkeit des utopischen Aufbruchs von 1968 stammte, war auf eine kleine Gruppe von Außenseitern der Gesellschaft zusammengeschmolzen.
Die Studentenrevolte und die Ursachen des deutschen Terrorismus. Ein selbstkritischer Rückblick durch Daniel Cohn-Bendit, einem der Führer der deutschen und französischen Studentenbewegung in den Jahren 1967/68 und danach
Ich gehörte 1977 nach der Auflösung der linksradikalen politischen Gruppen zur Spontiszene, dem Milieu, das später alternative Szene genannt wurde. Für uns war der Deutsche Herbst 1977 eine harte Herausforderung, denn wir wurden von allen Seiten unter Beschuß genommen. Di e im Untergrund sagten: Entweder gehört ihr zum Staat oder zu den Freiheitskämpfern. Der Staatforderte von uns: entweder ihr gehört zu den Verteidigern der Demokratie oder zu den Sympathisanten des Terrorismus. Wir setzten dagegen die Parole: Weder mit dem Staat noch mit der Guerilla.
Ich will zunächst einmal die historische Verantwortung meiner Generation der Achtundsechziger, zu skizzieren versuchen, unsere Verantwortung für das, was man Terrorismus oder Stadtguerilla nennt. Es ist immer leicht, die Schuld der Gegenseite zu geben, doch auch unsere Generation trägt Schuld.Die antiautoritäre Bewegung besaß einen sehr undifferenzierten Begriff von Widerstand und Widerstandsrecht. Sie hat versucht, sämtliches mögliches politisches Handeln mit den Mißständen in aller Welt zu legitimieren. Der Vietnamkrieg, die Diktaturen in Persien und Griechenland oder auch die Notstandgesetze mußten herhalten, um ein genuines Widerstandsrecht gegen den westdeutschen Staat zu formulieren. Das war ein Ambiente, in dem sich alles entwickeln konnte. Einerseits eine radikaldemokratische Bewegung, die dem zivilen Ungehorsam verpflichtet war, andererseits radikale Gruppen, die die anti-imperialistische Widerstandsideologie für bare Münze nahmen und diese nach persönlicher Erfahrung von Repression in konkreten bewaffneten Widerstand umgesetzt haben. Wir haben nicht auseinandergehalten was heißt Widerstand in einem faschistischen Staat, was ist Widerstand in einer Demokratie. Mit dem Begriff des autoritären Staates suggerierten wir den kontinuierlichen Übergang vom Kapitalismus zum Faschismus ....
Dazu kam die schwer verdaubare Nichtauseinandersetzung der Eltern der revoltierenden Studenten mit dem Nationalsozialismus, sie war ein wichtiger Ausgangspunkt der Revolte. So konnte es zu der politischen Verkürzung kommen: Damals haben die nicht Widerstand geleistet, heute wenn der Parteigenosse Kiesinger den Notstand plant, tun wir es. Wehret den Anfangen. Sicher zu verkürzt, aber richtig war und ist, daß die Diskussion über den notwendigen Widerstand gegen Hitler im Adenauer-Deutschland nicht geführt wurde. Auch Helmut Schmidt schreibt heute, "warum ich kein Nazi wurde" und nicht "warum ich kein Widerstandkämpfer war". Diese Diskussionsverweigerung, dieses Schweigen, hat bei uns wesentlich zur ungeheuren emotionalen Unzufriedenheit mit dieser Gesellschaft geführt. …
... es gibt immer eine unerklärbare Dimension des Ausrastens, des sich Abkoppeln von der Realität. Wenn wir 1968 und später von der proletarischen Revolution gesprochen und sie erwartet haben, dann war das eine Abkopplung von der Realität, denn sie war nirgendwo zu sehen.
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