Der Beginn des planetarischen Zeitalters. Den Start des ersten sowjetischen Erdsatelliten "Sputnik" am 4. Oktober 1957 kommentiert der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Karl Korn, 7. Oktober 1957
Wir sind dabei gewesen
Goethe hat, als er vor Valmy die Kanonen der französischen Revolutionsheere donnern hörte, das säkulare Wort gesprochen, das Epoche machte, weil es genau in jenem erregenden Augenblick gesprochen wurde, da in jähem Bruch eine neue Epoche der Weltgeschichte anhub. Goethe hat seinem ahnungsvollen Wort damals den Nachsatz folgen lassen, daß er sagen könne: "Ich bin dabei gewesen."
Dies scheint ein Wort zu sein, brauchbar in dem ungeheuren Augenblick, da zum erstenmal aus dem Weltall Morsesignale von einem künstlichen Mond registriert werden, der in 900 Kilometer Höhe alle eineinhalb Stunden einmal um den Erdball kreist ... Die Perspektiven dessen, was auf diesen ersten Satelliten nun alles folgen wird, sind ungeheuer. Da wir seit Jahrzehnten mit technischen Wundern vertrauten alltäglichen Umgang haben, ist anzunehmen, daß wir bald gedankenlos in den Sog dessen, was nun Schlag auf Schlag folgen muß, gerissen werden.
Das Wettrennen der beiden Weltkolosse um wissenschaftliche, technische und das heißt allemal auch militärische Macht, um Prestige, und das heißt politische Macht, kann durch den sensationellen Vorstoß der Russen so fürchterlich gesteigert werden, daß die prometheische Größe des Ereignisses vom 4. Oktober im Schrecken eines neuen Wettlaufs verlorenzugehen droht ...
Wesentlich ist, daß wir den Moment in seiner allgemeinen fürchterlichen Bedeutung erkennen und wissen: Der erste mit Meßinstrumenten ausgestattete Satellit, der jetzt alle eineinhalb Stunden um die Erde kreist ist unser aller unheimlicher Trabant. Erfunden hat ihn der Menschengeist, nicht ein Machtblock in Rivalität zum andern.
Die Menschheit kann in diesen Tagen vom Rausch ihrer Größe trunken sein. Zugleich aber müssen wir alle wissen, daß, was jetzt folgt, von uns allen zu verantworten ist, daß es keinen Rückzug in den Stand unbeteiligter Unschuld mehr gibt und daß die großen moralischen Probleme der Menschheit, von denen ihr Fortbestand abhängt, so ungelöst sind wie je zuvor. Diese letzte Einsicht ist zugleich in gewisser Weise tröstlich, besagt sie doch, 111 politisches Vokabular übersetzt, daß man das Schicksal der Menschheit nicht auf automatisch rotierende Planetenbahnen setzen kann.
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