2.2. Marktwirtschaft, Sozialreform und Weltmarktorientierung
In den Anfangsjahren der Bundesrepublik gehörte die Auseinandersetzung über die grundsätzlichen Konzeptionen in der Wirtschafts- und Sozialordnung zu den wichtigsten Streitpunkten zwischen Regierung und Opposition. Während SPD und Gewerkschaften, auch vor dem Erfahrungshintergrund der Weltwirtschaftskrise und der Massenarbeitslosigkeit der dreißiger Jahre, für eine volkswirtschaftliche Gesamtplanung eintraten, kämpfte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard für die Durchsetzung der "sozialen Marktwirtschaft", Der nicht zu übersehende Erfolg der Marktwirtschaft entzog ihren Kritikern im Laufe der fünfziger Jahre zunehmend die theoretische lind politische Argumentationsbasis. (Vgl. Godesberger Programm der SPD 1959, Q 49.)
Über die Aufhebung der Bewirtschaftungs- und Preisvorschriften im Juli 1948 schreibt Ludwig Erhard 1957
Tatsächlich wurde die Marktwirtschaft in Deutschland - ein fast einzigartiger historischer Vorgang - durch einige wenige Gesetze und durch kompromißlose Entschlossenheit eingeführt. Der Wille, etwas gänzlich Neues zu schaffen, fand seinen Niederschlag in dem "Gesetzes- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes" vom 7. Juli 1948, wo auf schlechtem, heute bereits vergilbtem Vorwährungsreformpapier das "Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform" vom 24. Juni 1948 verkündet wird. Mit diesem Gesetz wurde dem Direktor der Verwaltung für Wirtschaft das Recht eingeräumt, mittel- oder unmittelbar und in einem Zuge Hunderte von Bewirtschaftungs- und Preisvorschriften in den Papierkorb zu befördern. Ich wurde beauftragt, im Rahmen der angefügten Leitsätze die erforderlichen Maßnahmen auf dem Gebiete der Bewirtschaftung zu treffen" und "die Waren und Leistungen im einzelnen zu bestimmen, die von den Preisvorschriften freigestellt werden sollen" - dies bedeutete für mich, so schnell als möglich so viele Bewirtschaftungs- und Preisvorschriften als möglich zu beseitigen.
Bereits einen Tag später wurde die "Anordnung über Preisbildung lind Preisüberwachung nach der Währungsreform" erlassen, mit der Dutzende von Preisvorschriften außer Kraft traten. Wir gingen hierbei den einzig möglichen Weg: Es wurde darauf verzichtet, all das aufzuführen, was ungültig wurde, und nur das namentlich und ausdrücklich genannt, was noch Geltung behalten sollte. Damit war ein gewaltiger Schritt in Richtung auf das Ziel der Beseitigung einer unmittelbaren Einflußnahme der Bürokratie auf die Wirtschaft getan.
Was sich im Hintergrund dieses Übergangs zur Marktwirtschaft abspielte, ist der breiten Öffentlichkeit nie voll bewußt geworden. Nur ein Beispiel: Strenge Vorschriften der amerikanischen und englischen Kontrollinstanzen verlangten vor jeder Änderung von Preisvorschriften deren ausdrückliche Genehmigung. Woran die Alliierten allerdings nicht gedacht hatten, war, daß jemand überhaupt auf die Idee kommen könnte, diese Preisvorschriften nicht zu ändern, sondern sie einfach aufzuheben. So viel Kühnheit von einem Deutschen so kurze Zeit nach dem Kriegsende anzunehmen, paßte nicht in die Denkkategorie einer Verwaltung, kurz nach einem überwältigenden Sieg.
Zugute kam mir, daß sich General Clay, die wohl stärkste Persönlichkeit der Hohen Kommission [sic!], hinter mich stellte und meine Anordnungen deckte. Die Preisbildung deutscher Konsumgüter und wichtigster Nahrungsmittel war damit der alliierten Preisaufsicht entzogen.
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