Westintegration versus Wiedervereinigung. Aus einer Rede des SPD-Abgeordneten Dr. Luetkens im Deutschen Bundestag, 16. Oktober 1951.
Nun stellt sich heraus, daß die von Bonn auf den Weg gebrachten Pläne zu Konsequenzen führen, welche mit dem Hauptziel politischer Strategie nicht in Einklang zu bringen sind, das uns allen gemeinsam sein sollte. So hat der Bundestag kürzlich beschlossen: Die vordringlichste politische Forderung des deutschen Volkes und seiner frei gewählten Vertretung, des Deutschen Bundestages, ist es, die Einheit Deutschlands Freiheit mit friedlichen Mitteln wiederherzustellen.
Die Politik meiner Fraktion ist immer davon ausgegangen, daß die Wiederherstellung der deutschen Einheit nicht nur für die Existenz unseres Volkes geboten sei, sondern auch die Voraussetzung bleibt für die erfolgreiche Integrierung eines freien Europas. In dieser Erkenntnis haben wir immer bei allen politischen Überlegungen Priorität für die Wiedervereinigung gefordert und uns solchen Plänen widersetzt, welche die Erreichung dieses Ziels gefährden könnten.
Wir haben die enge Zusammenarbeit mit den westlichen Völkern Europas immer begrüßt. Aber gerade auch im Interesse dieser anderen Völker und Europas haben wir uns widersetzt, wenn die Integration nach Westen über den Punkt hinausgetrieben werden sollte, wo sie automatisch die Wiedervereinigung mit der sowjetischen Besatzungszone gefährden muß.
Die Politik, die die Regierung zwei Jahre lang verfolgt hat, hat in diese Sackgasse geführt.
Alle Verträge, die der Herr Bundeskanzler abzuschließen plant, werden Barrieren aufrichten, die die deutsche Wiedervereinigung hemmen, er schweren, wenn nicht noch schwerere Wirkungen und Konsequenzen für die Wiedervereinigung haben.
Es ist notwendig, daß die westlichen Mächte überzeugt werden, daß sie um Europas willen, um der ganzen weltpolitischen Lage willen, einen anderen Weg beschreiten als den bisherigen, auf den sie auch durch die Initiative des Herrn Bundeskanzlers vom 29. August 1950 gelenkt worden sind.
Die Frage ist nicht, ob die Einheit Deutschlands das höchste Ziel der Politik und Ihrer Politik, Herr Bundeskanzler, ist, sondern die Frage ist, ob Sie um dieses Zieles willen fähig sind, Verzicht zu leisten auf das, was Sie bisher angestrebt haben, nämlich eine Form der westlichen Integration, welche die Integration Deutschlands zu blockieren droht. Das ist Ihr Dilemma und das ist nunmehr unser aller Dilemma.
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