2. Westintegration und Wiederbewaffung in der innenpolitischen Kontroverse
Die Möglichkeit eines westdeutschen Verteidigungsbeitrags wurde von den westlichen Alliierten seit 1949 immer intensiver diskutiert. Nach dem Beginn des Korea-Krieges im Juni 1950 traten diese Überlegungen in ein konkretes Stadium. In diesem Sinne schlug der britische Oppositionsführer Churchill am 11.8.1950 im Europarat die Bildung einer Europa-Armee unter Einbeziehung eines deutschen Truppenkontingents vor. Adenauer, der bereits im Dezember 1949 eine derartige Lösung in Erwägung gezogen hatte, nahm Churchills Initiative positiv auf, während die SPD, aber auch große Teile der Öffentlichkeit, den Gedanken einer Remilitarisierung Deutschlands auf das schärfste bekämpften. Bis zur Unterzeichnung der Pariser Verträge und der Aufnahme der Bundesregierung in die NATO im Jahre 1955 stand die Frage der deutschen Wiederbewaffnung wie kein anderes Thema im Mittelpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik.
Stellungnahme Adenauers zur Wiederbewaffnung. Interview in der "New York Times" am 17. August 1950.
Baut man eine Verteidigung auf oder nicht? Bis jetzt hat das deutsche Volk seine Haltung gegen die Drohung des Kommunismus durch sein Vertrauen auf die bewaffneten Streitkräfte der Vereinigten Staaten bewahrt. Die Ereignisse in Korea haben aber eine merkliche Auswirkung gehabt, und es besteht ein Gefühl der Hilflosigkeit, daß die Russen eines Tages die Macht ergreifen werden.
Die Volkspolizeiarmee in der Sowjetzone bildet offensichtlich die Grundlage für eine echte Angriffsmacht. Ihre Aufgaben sind nicht auf reine Polizeiarbeit begrenzt. Sie besteht getrennt neben der allgemeinen Polizei, ist in Kasernen untergebracht und erhält militärische Ausbildung.
Der einzige Gesichtspunkt, für den wir dankbar sein können, ist, daß sie zweifellos große Schwierigkeiten haben, alte Soldaten und Offiziere zu finden und insbesondere bei Offizieren auf junge Leute angewiesen sind. Außerdem haben die Russen eigene starke militärische Kräfte in der sowjetischen Zone. Ich bin kein militärischer Sachverständiger, aber MiIitärexperten berichten mir, daß ihre Formationen so organisiert sind, wie das nur für Angriffszwecke der Fall ist. Sie umfassen viele Panzereinheiten. Unter diesen Umständen muß die gegenwärtige psychische Haltung der westdeutschen Bevölkerung sofort durch die Vergrößerung der amerikanischen Streitkräfte gestützt werden. Die Vereinigten Staaten müssen in 20 den nächsten drei Monaten zwei oder drei weitere Divisionen nach Europa schicken und ihre Streitkräfte ständig bis zum Einschluß von etwa zehn Panzerdivisionen verstärken, um so einen Schutzvorhang für Vorbereitungen von seiten Deutschlands und anderer westlicher Nationen zu bilden.
Wir müssen die Notwendigkeit der Schaffung einer starken deutschen Verteidigungskraft erkennen. Ich will nicht von einer Armee oder Waffen sprechen, aber diese Streitmacht muß stark genug sein, um jede mögliche, den Vorgängen in Korea ähnelnde Aggression der Sowjetzonenvolkspolizei abzuwehren. So stark wie diese Volkspolizei ist, müssen auch wir sein. Das Ausmaß der Bewaffnung und Ausbildung muß dem Ausmaß der Bewaffnung und Ausbildung der Volkspolizei entsprechen.
Offensichtlich müßte diese Verteidigungsstreitkraft von den Vereinigten Staaten bewaffnet werden. Die Schnelligkeit ihrer Aufstellung würde von der Lieferung der benötigten Waffen abhängen. Außerdem müßten Maßnahmen für die Verteidigung gegen Luftangriffe und für allgemeine zivile Verteidigungsprojekte getroffen werden.
Unsere Beteiligung an westeuropäischen Armeen sollte schnell entschieden werden, ebenso wie konkrete Maßnahmen für die allgemeine westeuropäische Verteidigung getroffen werden sollten. Ebenso ist jedoch eine starke amerikanische Einwirkung (intervention) auf die europäische Politik notwendig, um auf eine politische und soziale Einigung Westeuropas zu drängen, so wie die Vereinigten Staaten bereits erfolgreich auf die wirtschaftliche Integration Westeuropas hingewirkt haben.
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