Kurz darauf kamen die beiden Kriminalen von Frankfurt. Der eine hieß Mohr. Das kann ich nie vergessen. Wie sie hieß, weiß ich nicht mehr. Die war schlechter als er. Die war strenger wie er gewesen. Sie haben dann Fragen auf Fragen gestellt an meinen Vater. Auch an meine Mutter. Die Großeltern, die Urgroßeltern ... Das haben die aber alles viel besser gewusst wie meine Eltern. Wie die gehießen haben und so weiter. Da waren die auch sprachlos gewesen. Dann kam´s, dass die den Stichtag festgesetzt, für den Transport nach Auschwitz für unsere Familie.
Wir haben jetzt alleine an dem Ort gewohnt. Da waren jetzt nicht noch weitere Sinti. Die von Breitscheid gab es noch. Aber wir waren hier allein. Die müssen das auch erfahren haben. Wie gesagt, dann haben sie den Stichtag festgesetzt und wir sollten dann im April wegkommen. Das genaue Datum weiß ich gar nicht mehr.
Nun das Besondere. Die haben festgestellt, zwei Kinder waren krank. Maria, Heinz seine Frau und mein Bruder.
Jetzt war mein Vater schon einige Jahre dort [in Hirzenhain, uer] angestellt und der wollt´ ihn gar nicht weg lassen. Wir können heute noch Gott dafür danken. Ich glaube, dass Gott das alles geführt hat. Er hat die Hand darüber gehalten, dass wir da noch wieder heraus konnten.
Jetzt war das so gewesen. Der Stichtag war vorbei.
Der Chef von meinem Vater wollte ihn auch gar nicht weg lassen. Der hat auch mit den Kriminalen gesprochen, dass er ihn dringend braucht, dass er ihn nicht entbehren konnte, und sie sollten doch eine Ausnahme machen. Aber das war unmöglich. Dann hat der seinen Hausarzt kommen lassen, mein Vater sein Arbeitgeber. Hätten wir unseren Hausarbeit kommen lassen, hätte das nichts genutzt. Das hat der wohl gewusst. Wär´ der in der Partei gewesen, hätte er sie sicher nicht arbeitsunfähig, ich meine transportunfähig, geschrieben. So hat er seinen Hausarzt kommen lassen. Der hat sie dann untersucht, mit ihnen gesprochen, und dadurch haben wir zwei Monate Aufschub bekommen. Bis die Kinder gesund sind. Das war unsere Rettung.
Aber dableiben durften wir sowieso nicht. Dann sind wir weggekommen, nach Frankfurt. Ins Lager, wo schon andere Sinti waren. Und auch von dort sind immer wieder welche fortgekommen nach Auschwitz. Auch als wir schon drin waren, sind noch Familien nach Auschwitz fort. Für nix und wieder nix.
Also das hatte er dann wenigstens geschafft, dass wir dort hinkommen. Jetzt kamen wir dort an. Der Bürgermeister, der war in der SA, hat uns an den Bahnhof begleitet und ist auch mitgefahren. Dann hat er uns in Frankfurt der SS übergeben, die uns dann ins Lager gebracht hat.
Jetzt kamen wir dort an. Wir waren Ordnung gewöhnt. Jetzt kamen wir dort an – nur große Waggons, voll Ungeziefer ... Wir wussten nicht, dass da Ungeziefer drin war. In den ersten Tagen haben wir das gemerkt. Es waren Wanzen, oder was weiß ich. Hautjucken, Ausschlag und so weiter. Dann haben wir erst einmal was weiß ich wie viel Tage draußen geschlafen, bis die das ausgesprüht haben.
Damals, wie ich noch so jung, habe ich das gar nicht wahrgenommen oder nur im Unterbewusstsein, was da vorgegangen ist. Man hat´s gesehen, man hat´s mitgemacht, verstanden habe ich es nicht richtig. Aber meine Eltern, die wussten, was los war. [...]
Das Gespräch wurde im April 2002 geführt und ist teilweise in überarbeiteter Form im Buch „Flucht. Internierung. Deportation. Völkermord. Bearbeitet von Josef Behringer. Seeheim 2005, S. 80-81 erschienen.
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