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Und dann ging’s Lagerleben los.
Morgens früh aufstehen. Zivilkleider hatte man uns abgenommen, die haben uns andere Fetzen gegeben. Und von wegen warme Kleidung. Es war März, als wir dort ankamen. Es war ja noch kalt. Keine Strümpfe. Keine gescheite Unterwäsche. Holzpantinen. Zum Teil haben wir als Steinträger bei der SS-Unterkunft gearbeitet. Mit einfachen Tragen aus Holz wurde zu zweit Steine getragen. Steine tragen hieß, Steine von da nach dort zu tragen, dann hingeschmissen. Was mit den Steinen passierte, weiß ich nicht. Dann haben wir bei der SS-Unterkunft zwei Meter tiefe Gräben ausgehoben. Ich war dort mit meinen zwei anderen Schwestern.
Wir waren ein Jahr dort bis April 1944. Wir standen schon dreimal vor der Vergasung. Da hieß es in die Blöcke. Alles zu. Vorn und hinten wurde alles abgesperrt. Zum Teil hatten sie Blöcke ausgeräumt und dann wurde das wieder abgeblasen. Warum? Ich weiß es nicht. Wir wurden dann in Auschwitz, was die jugendlichen, gut aussehenden, noch kräftigen Menschen anging, ausgesucht - und dann ging es ab auf Transport. Wir wurden nach Ravensbrück geschickt.
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In Ravensbrück waren wir dann sechs Wochen in Quarantäne wegen Typhusgefahr. Dort hat man dann weitere Untersuchungen angestellt, und da hat sich herausgestellt, dass ich im sechsten Monat schwanger war. Meine zwei Schwestern wurden nach Altenburg weitergeschickt, ins Munitionslager. Ich durfte nicht mit. Mir haben sie das Kind geholt, im sechsten Monat. Mir haben sie zuerst Spritzen gegeben, Wehenspritzen, aber es hat sich nichts gerührt, und dann wurde ich abends in den OP gebracht, dann bekam ich Spritzen, dann war ich weg, und als ich wieder zu mir kam, war das Kind auch weg.
Und als das alles vorbei war, kam ich nach Graslitz im Sudetenland. Das war gegen Ende Mai, es kann aber auch schon Juni gewesen sein, wegen der sechs Wochen Quarantäne. Dann kamen wir noch nach Zotau, das war so eine Durchgangsstation, und dann nach Graslitz. Und auf dem Adolf Hitler seinem Geburtstag, das war der 20. April, da hat man uns in Marsch gesetzt. Da hat es geheißen, das Lager wird aufgelöst, aber wir hörten ja schon munkeln von den deutschen Ingenieuren, mit denen wir zusammengearbeitet haben, [...] Wir haben da Zwangsarbeit gemacht für die Firma Hagenfelde Berlin, Flugzeugersatzteilwerk. Da wurden wir gefragt, was wir daheim gemacht hatten. Und bei der Firma Weissensee habe ich als Dreher gearbeitet. Ich habe an der Presse gearbeitet, ich stand an der Bohrmaschine. Ich kannte mich also aus. Dann habe ich dort einen Lehrgang mitgemacht. Und dann hatte ich die Drehbänke unter mir, wie ein Meister. Und da, von den Ingenieuren, die noch da waren, hat man immer mal was läuten hören, dass das alles bald vorbei wäre. Die Amis stünden dort und dort.
In Graslitz waren gefangene Französinnen, die aber in einem anderen Lager waren. [...] Das Schlimmste war die Aufseherin, vor allem war eine dabei, die wir „Fieseler Storch“ genannt haben, weil sie so langbeinig und dünn und dürr war - das war eine Missgeburt, wie sie im Buch steht. Der eigentliche Leiter - so ein kleiner dicker Stöpsel - war nicht so schlimm. Er hat uns vor dem Marsch gesagt: „Weglaufen ist erlaubt, aber erwischen lassen ist verboten, das merkt euch“. Die Aufseherin, das lange Gestell, wollte uns in Graslitz lassen. Die wollte uns in der Fabrik lassen und hätte es zugelassen, wenn wir dort bombardiert worden wären; es war ja eine Waffenfabrik. Wir haben sie gefragt, ob sie das auf ihre Seele nehmen könnte, zum guten Schluss. Sie hat dann nachgegeben. Wir haben uns mit Kartoffeln, die für die Schweine waren, versorgt. Wann haben wir sonst mal Kartoffeln gekriegt? Zwei Jahre habe ich keine Kartoffeln gekannt, nur Steckrüben.
Das war eine Fabrik, und in der Fabrik waren wir untergebracht. Insgesamt waren wir etwa 600 Frauen.
Das Gespräch mit Amailie Gutermuth, Jahrgang 1919, wurde im September 1994 durchgeführt.
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