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Wir sind alle zugleich ins KZ gebracht worden. Wir waren acht Personen. Ich bin - glaube ich - in der Metzgerei abgeholt worden. Ich weiß gar nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass ich den Schlüssel von der Metzgerei, den Schlüssel fürs Haus, dem Gestapomann aus Fulda, der uns nach Auschwitz begleitet hat, in Breslau gegeben habe. Der hieß te Lake. Dem habe ich den Schlüssel gegeben. Er sollte ihn in der Metzgerei abgeben. In unserem Abteil war noch die Familie Weiss, der Schnegeli, der als Straßenkehrer in Fulda gearbeitet hatte.
Die sind morgens gekommen. Sie haben ganz früh morgens unsere Häuser mit Polizisten umstellt. Es sind Lastwagen vorgefahren. „Einpacken, was ihr tragen könnt, als andere bleibt hier.“ Das war in der Haimbacher Straße. Betten, Geschirr, alles musste dableiben. „Lebensmittel könnt Ihr ein bisschen mitnehmen.“ Dann sind wir - so glaube ich - auf die Lastwagen verladen worden und sind zu diesem Bauhof verladen worden. Verhaftet hat uns die Kriminalpolizei, der besagte Gestapo-Mann te Lake und die allgemeine Ortspolizei. Und dann sind wir in diesem Bauhof eingeliefert worden. [...]. Wir wurden von der Polizei verpflegt, bis wir zum Bahnhof kamen.
Damals war ich knapp 18 Jahre: Ich war der Meinung, dass wir nach Polen deportiert werden, weil vorher immer die Sprache davon war, dass die Sinti nach Polen deportiert werden [...]
Man dachte, man würde nach Polen deportiert werden, um dort als selbständige Landwirte zu arbeiten, dass man einen Bauernhof zugewiesen bekommt, den man vorher den Polen abgenommen hatte. Und dass dieses Land von uns besiedelt und bewirtschaftet werden sollte. Das war ein Grundgedanke, weil schon wochen- und monatelang darüber gesprochen wurden, dass die Sinti eventuell aus Deutschland nach Polen deportiert würden.
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Wir sind im normalen Personenwagen transportiert worden, haben Verpflegung mitbekommen und Bewachung. Als Begleitperson war dieser T. dabei, der mir früher Schläge angeboten hatte. Der hat uns - soweit ich mich erinnere - bis Breslau begleitet oder Auschwitz. Das weiß ich nicht mehr genau. Er hat irgendwann die Akten übergeben.
In Auschwitz wurden wir an der Rampe ausgeladen, da war dann noch mein Großvater dabei, der Peter Reinhardt, und der hatte noch sein Bett dabei. Wir durften ja nur mitnehmen, was wir anziehen konnten. Alles andere blieb zu Hause. Also der hatte sein Bett dabei, im Bettlaken eingebunden wie ein Flüchtling. Da sagte mein verstorbener Vater zu mir: „Nimm doch deinem Großvater das Bett ab. Der kann das doch nicht tragen.“ So habe ich das Bett noch getragen. Und da haben wir uns alle in Fünferreihen aufstellen müssen: fünf Personen nebeneinander. Und da war vor uns einer aus einer anderen Fuldaer Familie. Der Vater hatte ein Kind auf dem Arm. Und mit diesem Kind waren es dann sechs. Und da kam der SSler und hat zu ihm gesagt: „Du, Untermensch. Ich habe dir doch gesagt, ihr sollt zu fünft antreten, und ihr seid doch hier zu sechst.“ Dann hat er sein Gewehr umgedreht und hat ihm mit dem Gewehrkolben in die Rippen geschlagen. Das weiß ich noch wie heute. Er hat dann das Kind weitergegeben, in die nächste Reihe, damit es immer nur fünf waren.
Dann sind wir dort weiter marschiert. In Hundertschaften. Bis nach Birkenau. Das war eine ganz schöne Strecke. Da sind wir noch durch ein Arbeitslager durchgekommen, wo die Leute überall gearbeitet haben, Holz gestapelt und so weiter. Da habe ich noch zu meinem verstorbenen Vater gesagt: „Hier kommen wir nicht mehr raus.“ Wie ich das gesehen habe, dass die alle von SS-Leuten bewacht waren. Und mein Vater hatte gedacht, dass wir hierher nur zur Arbeit deportiert worden sind. Deportiert, dass wir dort in einem Arbeitslager arbeiten. Dass das ein Vernichtungslager war, wussten wir ja nicht.
Das Gespräch wurde im September 1994 aufgezeichnet.
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