Brief des Inhaftierten Alfred Stern an den Landrat, Marburg 6.09.1933
An das Landratsamt Marburg
Ich ersuche Sie höfl. einem von uns Brüdern die Schutzhaft zu erlassen, oder einen Urlaub zu gewähren. Da durch diese Maßnahme nicht nur das Geschäft stockt, sondern auch die gesamte Feldarbeit die sich jetzt aufhäuft liegen bleibt. Eine Vertretung zu nehmen ist bei unserer schlechten finanziellen Lage uns ausgeschlossen möglich.
Zu meinem Fall will Ihnen kurz folgendes mitteilen. Ich bin auf Grund einer wissentlichen falschen Anschuldigung hier durch die Stadt geführt worden, soll in ein Konzentrationslager. Den Verlauf des Ganges durch Wetter kann Ihnen selbst nicht so ausführlich mitteilen wie es mehrere Hundert Augenzeugen vermögen. Weiter schuldigt man mich an ich hätte eine ganze Reihe Wetterscher Mädchen geschändet Auch dieses ist eine Mutmaßung der jede wahrheitsgemäße Grundlage fehlt. Zugeben muß ich, daß vor mehr als 5 – 6 Jahren ein Verhältnis mit einem christlichen Mädchen hatte, dessen Name aus Taktgefühl nicht nennen möchte.
Ein Herr Maier stellte dem Herrn Daniel Junk, beide aus Wetter die Behauptung auf, er Maier habe mich am 27.8.33 abends mit Frl. Schmidt zusammen gesehen. Bei unserer Gegenüberstellung erklärte er wörtlich: Ich wollte das Liebesnest auslieben, habe aber nichts gesehen auch nie behauptet. Zugegen waren hier folg. Zeugen. Herr Truppführer Hennig aus Marburg, Herr Polizeiwachtmeister Iser, Christian Schneider, mein Vater und noch mehr Wetteraner.
Obgleich der Nachweis meines Alibis nach dieser Aussage Maiers nicht nötig wäre, will dieses für den fraglichen Abend durch die Zeugen Leopold Blum, Erna Lehrberger, Frau [unleserlich] Liebmann, meine Eltern & 2 meiner Geschwister bekunden. Auch habe ich in dem letzten Vierteljahr keinerlei Beziehung zu Frl. Schmidt mehr gehabt.
Damit ich nun das Gegenteil von der unwahren Beschuldigung des Herrn Dr. [unleserlich] beweisen kann wäre es von ihm erforderlich die Namen der Mädchen zu nennen, die ich geschändet haben soll.
Ich bitte Sie höfl. diese meine wahrheitsgetreuen Angaben zu prüfen und wenn möglich meinem Wunsche zu entsprechen.
Hochachtungsvoll
Alfred Stern
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