Intervention des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI) bei der Reichsregierung für eine parlamentarische Lösung. Aktenvermerk des Staatssekretärs in der Reichskanzlei, Hermann Pünder, vom 15.9.1930
Herr Geheimrat Kastl vom Reichsverband der Deutschen Industrie rief mich heute aus Sorge um die weitere politische Entwicklung nach den gestrigen Reichstagswahlen an. Damit keine Irrtümer aufkämen, lege er Wert darauf, von vornherein festzustellen, daß der Reichsverband der Deutschen Industrie absolut der Auffassung sei, daß die Regierung dafür sorgen müsse, ihr gutes Reformprogramm parlamentarisch im neuen Reichstag zu verankern. Das sei aber nach Lage der Dinge nur nach links hin möglich. Ich entwickelte ihm darauf die Gedankengänge, wie sie nach meiner Meinung augenblicklich der Herr Reichskanzler habe, und von denen er nach einer heutigen Rücksprache mit dem Herrn Reichspräsidenten in der morgigen Ministerbesprechung Mitteilung machen wolle... [Es] scheine ... mir sehr zweifelhaft, ob eine große Koalition der alten Form möglich sei, da hiergegen doch von verschiedensten Seiten die schwersten Bedenken bestehen würden. Was meines Erachtens dagegen möglich und notwendig sei, sei eine Zusammenfassung aller zur Mitarbeit bereiten Kräfte, also eine Hinzuziehung der Sozialdemokraten, wie auch den Fortbestand der engen Zusammenarbeit mit den 3 neuen konservativen Gruppen.
Herr Geheimrat Kastl war durch vorstehende Darlegungen meinerseits sehr beruhigt und fügte noch hinzu, daß er dem Herrn Reichskanzler jederzeit zur Aussprache zur Verfügung stünde sowie auch zu einer Unterstützung der Reichsregierung durch den Reichsverband.
Am heutigen Abend rief mich dann Herr Kastl nochmals an und teilte mir mit, daß er inzwischen auch mit dem Präsidenten des Reichsverbandes, Herrn Geheimrat Duisberg, sowie den stellvertretenden Vorsitzenden Frowein1, Krämer2 und Müller-Oerlinghausen3 gesprochen habe. Alle diese genannten Herren seien der gleichen Auffassung, wie wir sie in unserer Mittagsbesprechung aufgestellt hätten. Der gleichen Auffassung sei auch der Bankier Max Warburg4' in Hamburg, mit dem er soeben telephoniert habe sowie zweifellos auch Herr Silverberg5, der als einziger stellvertretender Vorsitzender des Reichsverbandes augenblicklich abwesend sei. Er lege besonderen Wert auf diese Feststellungen, weil heute abend in einer Notiz der Börsenzeitung angedeutet sei, daß es vielleicht doch noch möglich sei, die politischen Geschäfte in Deutschland mit der radikalen Rechten zu leiten...
Bundesarchiv Koblenz, Akten der Reichskanzlei R 43 I, Bd. 1308
Reichskanzler Brüning hatte Kenntnis von dem Vorstoß des RDI und zeichnete den Aktenvermerk Pünders am 16.9.1930 eigenhändig ab.
1 Frowein, Abraham, Textilindustrieller _ 2 Krämer, Hans, Direktor des Tiefdrucksyndikats, Mitglied des Aufsichtsrats der Deutschen Golddiskontbank - 3 Müller-Oerlinghausen, Georg, Textilindustrieller - 4 Warburg, Max, Mitinhaber des Bankhauses M. M. Warburg & Co., Hamburg - 5 s. Quellen 45 u. 46
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