Friedrich Stampfer über die Ursachen der Weltwirtschaftskrise, ihren Verlauf und die sozialen Auswirkungen:
Schon im Jahre 1928 hatten sich nach einer kurzen Periode des Aufstiegs in der Weltwirtschaft Niedergangserscheinungen gezeigt. Im Oktober 1929 brach die Überspekulation in den Vereinigten Staaten mit einem furchtbaren Börsenkrach zusammen. Es war ein Fieberanfall, der eine schwere Erkrankung anzeigte. Die Prosperity war zu Ende, der Abruf der angehäuften Konsumgüter stockte, ein Preissturz auf allen Rohstoffmärkten setzte ein. Infolge der Reparationszahlungen und durch die falsche Politik der Wirtschaftsführer, die zum Zweck der Rationalisierung gewaltige Kapitalien investierten, war Deutschland gegenüber dem Ausland stark verschuldet. Der große Bedarf und die gute Verzinsung hatten seit 1924 viel ausländisches Kapital ins Land gelockt. Nach den Septemberwahlen von 1930, die als Vorläufer noch größerer politischer Unruhen erkannt wurden, begannen Auslandskapitalien in großen Mengen abzuwandern, und unter den deutschen Kapitalbesitzern setzte eine heftige Kapitalfluchtbewegung ein... In der Zeit von Mitte 1930 bis Anfang 1932 sank der Gold- und Devisenbestand um 2 Milliarden: von 3078 auf 1077 Millionen.
Der Durchschnittskurs der an der Berliner Börse notierten Aktien betrug im Jahre 1929 150 Prozent, im Jahre 1930 120 Prozent, im September 1931 56 Prozent.
Vor dem Kriege hatten namhafte Nationalökonomen die Theorie verfochten, daß der Übergang der kapitalistischen Privatwirtschaft vom freien Wettbewerb zur Kartell- und Monopolwirtschaft zu einer Beseitigung der Krisen, mindestens zu ihrer Milderung führen müsse. Die Ereignisse des Jahres 1931 haben diese Theorie widerlegt...
Ein neuer Ansturm der Auslandsgläubiger setzte ein und führte zu einer vollkommenen Katastrophe des deutschen Bankwesens. Auch die Bekanntgabe des sogenannten Hoover-Feierjahres', des einjährigen Moratoriums, vermochte die Panik nicht mehr aufzuhalten... Ungeheuer war die Katastrophe des deutschen Arbeitsmarktes... Von den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern waren Ende 1931 nur noch ein Viertel voll beschäftigt, mehr als ein Viertel leistete nur noch Kurzarbeit, fast die Hälfte, 42,8 v.H., waren vollerwerbslos. In den ersten Monaten des Jahres 1932 betrug die Zahl der Arbeitslosen weit über 6 Millionen! ... Es gab in Deutschland keine Klasse und keinen Stand, die nicht von der Krise in Mitleidenschaft gezogen waren. Die Kapitalisten hatten ungeheuere Verluste und sie zitterten vor weiteren wirtschaftlichen oder politischen Ereignissen, die sie vor das Nichts stellen würden. Die Großgrundbesitzer waren in Bedrängnis und schrien nach Staatshilfe. Die mittleren und kleineren Landwirte waren bis über die Ohren verschuldet und wußten nicht mehr aus und ein. Die kleinen Ladenbesitzer, müßig hinter dem Verkaufstisch stehend, bildeten einen statistisch nicht erfaßbaren und sozial vernachlässigten Teil der ungeheueren Arbeitslosenarmee. Die Beamten mußten eine Gehaltsreduktion nach der anderen über sich ergehen lassen. Die Masse der tätigen Arbeiterschaft sah von ihren sozialen Errungenschaften, die sie sich bei günstigerer Konjunktur mit Hilfe ihres politischen Einflusses erkämpft hatte, ein Stück nach dem anderen dahinschwinden. Hinter all dem stand die ungeheuere Armee der Arbeitslosen, deren Unterstützung immer geringer und immer unsicherer wurde. Es war ein hoffnungsloses Absinken in drei Etappen: von der Arbeitslosenversicherung, die auf erworbenen Ansprüchen beruhte, in die öffentlich subventionierte Krisenfürsorge, von da in die gemeindliche Wohlfahrtsfürsorge und schließlich in das Nichts
1 Am 19.6.1931 schlug der amerikanische Präsident Herbert Hoover (1929-33) einen einjährigen Aufschub aller zwischen den Regierungen bestehenden Verpflichtungen hinsichtlich der Reparations- und Kriegsschuldzahlungen vor. Das Moratorium trat am 7. 7.1931 in Kraft und galt zunächst bis zum 30. 6.1932.
Stampfer, Die ersten 14 Jahre der Deutschen Republik, S. 585-88
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