Unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Dawes-Planes beschloß das Reichskabinett, die Aufnahme in den 1919 gegründeten Völkerbund in Genf zu beantragen. Die Aufnahme erfolgte am 10. 9.1926 (s. Quelle 31). Zuvor hatte Deutschland auf der Konferenz von Locarno (5.-16. 10. 1925) die durch den Versailler Vertrag geschaffenen Westgrenzen endgültig anerkannt und damit die Verständigungspolitik gegenüber den Westmächten bekräftigt. Gleichzeitig aber pflegte das Deutsche Reich die Kontakte zur Sowjetunion: Die Vereinbarungen von Rapallo über den gegenseitigen Verzicht auf Reparationen und die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der UdSSR (16. 4.1922) wurden so in dem Berliner Vertrag über wirtschaftliche Kooperation und politische Neutralität (24.4.1926) ausgebaut (s. Karte „Deutschland im europäischen Paktsystem", S.126).
Die drei großen Aufgaben der deutschen Außenpolitik. Aus dem Briefwechsel zwischen dem ehemaligen deutschen Kronprinzen Wilhelm und Reichsaußenminister Stresemann. Um seine Ausgleichspolitik innenpolitisch abzusichern, bemühte sich Stresemann, auch die politische Rechte für eine Verständigung mit den Westmächten zu gewinnen.
Kronprinz Wilhelm an den Reichsaußenminister, 28. 8.1925:
Lieber Herr Minister, ... [ich] ... möchte ... Ihnen noch einmal ... sagen, welch' schwere Besorgnisse ich hege für den Fall, daß wir uns dazu herbeiließen, ohne günstige Garantien in den Völkerbund einzutreten. Es mag ja sein, daß wir hier und da durch unseren Sitz im Völkerbunde kleine politische Erfolge erzielen könnten; aber ich fürchte, daß in den großen, unser Vaterland be- rührenden, Fragen wir noch immer von der Gegenseite überstimmt werden durften, und daß wir dann unsere Handelsfreiheit einbüßen. Augenblicklich und wir immer noch in der günstigen Lage, uns den Anschluß nach Osten oder Westen offen halten zu können. Wir sind sozusagen in dieser Beziehung
das Zünglein an der Waage... Diese günstige Situation würde mit einem Schlage in ihr Gegenteil verwandelt, wenn wir jetzt eine feste Bindung mit den Westmächten eingingen.
Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Bonn, NL Stresemann, Bd. 28, Bl. 04537-38
Stresemann an den Kronprinzen, 7. 9.1925:
Zu der Frage des Eintritts in den Völkerbund möchte ich folgendes bemerken:
Die deutsche Außenpolitik hat nach meiner Auffassung für die nächste absehbare Zeit drei große Aufgaben:
Einmal die Lösung der Reparationsfrage in einem für Deutschland erträglichen Sinne und die Sicherung des Friedens, die die Voraussetzung für eine Wiedererstarkung Deutschlands ist, zweitens rechne ich dazu den Schutz der Auslandsdeutschen, jener 10-12 Mil- 20 lionen Stammesgenossen, die jetzt unter fremdem Joch in fremden Ländern loben. Die dritte große Aufgabe ist die Korrektur der Ostgrenzen: die Wiedergewinnung von Danzig, vom polnischen Korridor und eine Korrektur der Grenze in Oberschlesien. Im Hintergrunde steht der Anschluß von Deutsch-Österreich, ...
Wollen wir diese Ziele erreichen, so müssen wir uns aber auch auf diese Aufgaben konzentrieren. Daher der Sicherheitspakt, der uns einmal den Frieden garantieren und England sowie, wenn Mussolini mitmacht, Italien als Garanten der deutschen Westgrenze festlegen soll. Der Sicherheitspakt birgt andererseits in sich den Verzicht auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit Frankreich wegen der Rückgewinnung Elsaß-Lothringens, ein deutscher Verzicht, der aber insoweit nur theoretischen Charakter hat, als keine Möglichkeit eines Krieges gegen Frankreich besteht...
Die Sorge für die Auslandsdeutschen spricht für den Eintritt in den Völkerbund...Die Bedenken, daß wir im Völkerbund überstimmt werden, gehen von der falschen Voraussetzung aus, daß es in diesem Völkerbundsrat, der die Entscheidung hat, eine Überstimmung gibt. Die Beschlüsse des Völkerbundsrats müssen einstimmig gefaßt werden... Die Frage des Optierens zwischen Osten und Westen erfolgt durch unseren Eintritt in den Völkerbund nicht. Optieren kann man ja übrigens nur, wenn man eine militärische Macht hinter sich hat. Das fehlt uns leider. Wir können weder zum Kontinentaldegen für England werden, wie einige glauben, noch können wir uns auf ein deutsch-russisches Bündnis einlassen. Ich warne vor einer Utopie, mit dem Bolschewismus zu kokettieren. Wenn die Russen in Berlin sind, weht zunächst die rote Fahne vom Schloß und man wird in Rußland, wo man die Weltrevolution wünscht, sehr zufrieden sein, Europa bis zur Elbe bolschewisiert zu haben und wird das übrige Deutschland den Franzosen zum Fraß geben. Daß wir im übrigen durchaus bereit sind, mit dem russischen Staat, an dessen evolutionäre Entwicklung ich glaube, uns auf anderer Basis zu verständigen und uns durch unseren Eintritt in den Völkerbund durchaus nicht nach dem Westen verkaufen, ist eine Tatsache, über die ich E.K.H. gern gelegentlich mündlich Näheres sagen würde ... Das Wichtigste ist für die unter s s 1) berührte Frage der deutschen Politik das Freiwerden deutschen Landes von fremder Besatzung. Wir müssen den Würger erst vom Halse haben. Deshalb wird die deutsche Politik, wie Metternich von Österreichwohl nach 1809 sagte, in dieser Beziehung zunächst darin bestehen müssen, zu finassieren und den großen Entscheidungen auszuweichen.
Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Bonn, NL Stresemann, Bd. 29, Bl. 04584-86
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