In einer akribischen Untersuchung stellte der engagierte Sozialist und Pazifist Emil Julius Gumbel (1891-1966) alle politischen Morde in der Zeit vom November 1918 bis 1922 zusammen und analysierte die jeweilige strafgerichtliche Behandlung. Die Erhebung Gumbels wurde vom Reichsjustizministerium in ihrem Wahrheitsgehalt ausdrücklich bestätigt.
Emil J. Gumbel über „DieTechnik des Freispruchs" und die Sühne der politischen Morde (1922):
Wird ein Anhänger der linken Parteien von Rechts ermordet, so kann sich eben der Richter unwillkürlich nicht von der Vorstellung loslösen, daß der Ermordete sein Feind war, und schon durch seine Gesinnung eine schwere Strafe verdient hätte. Daß der Mörder eigentlich doch nur der strafenden Gerechtigkeit zuvorgekommen ist. Und schon deswegen mild zu behandeln ist. So kommt es häufig vor, daß bei der Gerichtsverhandlung nicht der Mörder, sondern der Ermordete moralisch vor dem Richter steht. Der Mörder aber gehört derselben sozialen Schicht, demselben Leben an wie der Richter. Unzählige soziale Bande verknüpfen den Mörder-Offizier mit dem Richter, der ihn freisprechen wird, dem Staatsanwalt, der das Verfahren einstellen wird, dem Zeugen, der den „Fluchtversuch" eingehend schildert. Sie sind Fleisch von einem Fleisch, Blut von einem Blut. Der Richter versteht ihre Sprache, ihr Fühlen, ihr Denken. Zart schwingt seine Seele unter der schweren. Maske des Formalismus mit den Mördern mit. Der Mörder geht frei aus. Wehe aber, wenn der Mörder links steht. Dem Richter, der selbst zu den früher auch offiziell „oberen" Klassen gehört, ist der Gedanke, daß diese Wirtschaftsordnung geschützt werden müsse, von alters her vertraut. Beruht doch auf ihr seine eigene Stellung. Und jeder Gegner dieser Wirtschaftsordnung ist an sich verwerflich. Der Angeklagte ist jeder Schandtat fähig. Und kann er auch nur annähernd überführt werden, so ist strengste Bestrafung sein sicheres Los.
Emil J. Gumbel, Vier Jahre Politischer Mord, Berlin 1922, S. 81 u. 149
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