2.1. Die Krisenjahre 1919-1923
„Der Feind steht rechts"
Ernst Troeltsch über „Die Welle von rechts", 19.12.1919:
... Die Ordnung und der Friede kamen, aber mit ihnen auch die fürchterlichen,
sich täglich steigernden und von der Politik der Entente verschärften wirtschaftlichen Probleme. Das Sinken der Valuta und die wahnsinnigen Preissteigerungen deuten das Kommen einer Katastrophe an, gegen die alle Regierung machtlos ist. Die von ihr geplanten und vorgeschlagenen Hilfsmittel machen heute erst das kommende Elend den Massen klar, und, ohne daß man ernsthafte andre Hilfsmittel wußte, wirft man nun der Regierung Situation und Hilfsmittel zugleich vor. Damit beginnt die Zeit der allgemeinen Enttäuschung, die Sehnsucht nach der guten oder jedenfalls besseren alten Zeit. Die vom Zusammenbruch überraschten, übertäubten und eine Zeitlang völlig hilflosen Kreise des alten Patriotismus und der alten Gesellschaftsordnung raffen sich wieder auf und benützen die von der Demokratie geschaffene Ordnung samt den dabei jetzt erst ganz klar werdenden Andeutungen der wirtschaftlichen Folgen des Krieges und der Revolution zu einem leidenschaftlichen Kampfe gegen die Träger des jetzigen Regimentes und gegen die Revolution überhaupt.. .
Wo sind nun aber die eigentlichen Sitze dieser Reaktion? In den Parlamenten sind es die „Deutschnationale Volkspartei" und die immer näher an sie herandrängende „Deutsche Volkspartei"... Teilweise gehören dazu die alten Beamten, die sich zunächst zur Verfügung gestellt hatten und ohne die auch gar nicht zu regieren gewesen wäre, die aber nunmehr sich vielfach zu einer Art Obstruktion oder gar Sabotage der Regierung gewandt haben... Die Bauern sind im allgemeinen misstrauisch nach allen Seiten und lediglich mit ihrer recht schwierigen Lage beschäftigt...
So bleiben für die „Welle von rechts" ganz wesentlich die Elemente der studentischen und akademischen Bildung... Sprach man vor einem Jahre vor Studenten, so musste man sich auf wilde pazifistische, revolutionäre, ja idealistisch-bolschewistische Widersprüche gefaßt machen; heute muß man auf antisemitische, nationalistische, antirevolutionäre Einsprüche sich einrichten.
In manchen juristischen Kollegien wird gescharrt, wenn das Wort „Reichs-Verfassung" fällt... Zum Teil steckt dahinter die patriotische Scham und Empörung über das Schicksal Deutschlands, den Betrug von Versailles und die Schwäche der Regierung, weiterhin ... die Agitation der sog. nationalen Parteien, der heute ein großer Teil der in tiefem Groll aus der alten, glanzvollen Armee ausgeschiedenen Offiziere als leidenschaftliche Träger zur Verfügung stehen...
Was sind die Wirkungen von alledem?... Eine Diktatur ist bei der Kontrolle der Alliierten und unserer militärischen Schwäche schwer vorstellbar. Deutschnationale Putsche vollends gehören meines Erachtens in das Reich der Legende. Dann aber hat die Heftigkeit der ganzen Opposition keinen Sinn und hindert nur die außenpolitische Einheitsfront und die damit eng zusammenhängende wirtschaftliche Gesundung, die beide einfach eine Lebensfrage sind.
Ernst Troeltsch, in: Spektator-Briefe, 1924, S. 87-94
Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages mußte die Stärke des deutschen Heeres auf 100 000 Mann verringert werden. Freikorps und Verbänden der Reichswehr stand gleichermaßen die Auflösung bevor. In dieser Situation besetzte der General Walther Frhr. von Lüttwitz mit ihm unterstellten Freikorps-Verbänden aus dem Baltikum am 13.3.1920 das Regierungsviertel in Berlin. Mit ihm im Bunde war der ehemalige Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp, im Kriege
Mitbegründer der annexionistischen Deutschen Vaterlandspartei. Während die
Regierung aus der Hauptstadt fliehen mußte, erklärte sich Kapp zum „Reichskanzler". Der Parteivorstand der SPD und die Gewerkschaften riefen daraufhin zum Generalstreik auf. Der Putsch erwies sich schnell als dilettantisches Abenteuer, und Kapp und Lüttwitz flohen am 17. März ins Ausland.
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.