Dokument 16
Die Möglichkeiten deutscher Außenpolitik. Aus dem Aufsatz „Das Weltsystem der Entente" des Theologen und Politikers Ernst Troeltsch, 10.10.1920:
Urheber
Ernst Troeltsch
Datum
10.10.1920
Bestand/Sign.
Spektator-Briefe. Aufsätze über die deutsche Revolution und die Weltpolitik 1918-22, hg. von Hans Baron, Tübingen 1924, S. 152-160
Die Möglichkeiten deutscher Außenpolitik. Aus dem Aufsatz „Das Weltsystem der Entente" des Theologen und Politikers Ernst Troeltsch, 10.10.1920:
Der Bolschewismus ... ist eine Weltmacht, mächtig durch Militär, Diplomatie und Propaganda. Er bedroht militärisch vor allem die asiatischen Positionen Englands, hat seine Helfer in allen Staaten bei gewissen Teilen des Proletariats und seiner Intellektuellen, verfügt über den diplomatischen Trumpf des allgemeinen Begehrens nach russischen Rohstoffen und Handel mit Bußland... In diesem diplomatischen Spiel ist das Deutsche Reich ein Objekt neben anderen, besonders wichtig nur insoferne, als es in eine Ausfallspforte des Bolschewismus gegen den westlichen Kapitalismus verwandelt werden kann. Der weltpolitische Gegenspieler ist die zum Völkerbunde erweiterte Entente,die man durchaus in ihrer weltpolitischen und nicht bloß gegen Deutschland gerichteten Bedeutung sehen muß. Es ist ein neues System der Weltgroßmächte, die ganz Mitteleuropa und Bußland aus sich ausgeschieden und Frankreich zu dem von den Angelsachsen wesentlich abhängigen Verwalter der europäischen Konkursmasse gemacht haben...
Die siegreiche Entente ist eben neben ihrer neuen Weltverteilung auch ein Handelssyndikat, das immer noch den deutschen Handel und die deutsche Arbeit ausschalten oder besser rein auf das ihr nützliche Maß reduzieren will. Die deutsche Konkursmasse ist verteilt und an ihrer Stelle soll nichts Neues wieder aufwachsen. Das ist die erste und nächste Bedeutung, die das Weltsystem der Entente für uns hat und deren Wirkungen auf unsere inneren 20 Zustände die ernstesten sein müssen.
Die zweite Bedeutung dieses neuen Weltsystems ist die Einigung aller kapitalistischen Interessen und Mächte zum Kampf gegen die soziale Weltrevolution, gegen die russische zuerst, dann aber auch gegen jede Regung irgendwo sonst.
Das kehrt sich wieder gegen Deutschland, das man bald gegen die Bolschewismus benützen, bald ihnen preisgeben, jedenfalls mit ihnen verwickeln und in der Neutralität behindern möchte...
Die beiden gegeneinander kämpfenden Weltsysteme, Bolschewismus und Entente, gegeneinander auszuspielen, sind wir viel zu schwach und eigener Initiative viel zu sehr beraubt. Die Verzweiflungspolitik, mit dem Bolschewismus gegen die Entente zu gehen, wäre der Untergang unserer Kultur und begegnet auch im allergrößten Teil des Volkes absoluter Abneigung. So bleibt nichts übrig, als mit den Weststaaten zu gehen und gleichzeitig ihrer grausamen Bedrohungen und Quälereien sich nach Möglichkeit durch Gebrauch der verbliebenen Rechtsmittel, durch Appell an die Weltmoral, durch Loyalität und Klarheit der Wiedergutmachung und durch immer neue Bestreitung des wahnsinnigen und heuchlerischen Dogmas von der alleinigen deutschen Schuld zu erwehren...
Spektator-Briefe. Aufsätze über die deutsche Revolution und die Weltpolitik 1918-22, hg. von Hans Baron, Tübingen 1924, S. 152-160
1 Entente (frz.) = Bündnis, zunächst zwischen England und Frankreich vor 1914, dann im Ersten Weltkrieg das Bündnis der Siegermächte (Alliierte)
2 zum Völkerbund s. Kap. 11.2, Quellen 30 und 31
Bearbeiter: Ku — URL dieses Dokuments: http://www.digam.net/index.php?doc=2615
—
URL dieser Ausstellung: http://www.digam.net/index.php?exp=180
© 2024 DigAM - digitales archiv marburg /
Hessisches Staatsarchiv Marburg, Veröffentlichung
nur mit Genehmigung
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.