Am 6. 2.1919 trat die Nationalversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung im National-Theater von Weimarzusammen. In der Reichshauptstadt Berlin herrschten im Januar 1919 (Spartakus-Aufstand 5.-12. 1. 1919) bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen. Die Wahl der Stadt Weimar als Versammlungsort sollte aber auch die bewußte Anknüpfung des neuen republikanisch-demokratischen Staates an die geistigen Traditionen des deutschen Idealismus demonstrieren.
Die Ansprache zur Eröffnung der Nationalversammlung hielt Friedrich Ebert, der Vorsitzende des Rats der Volksbeauftragten, 6. 2.1919:
Meine Damen und Herren, die Reichsregierung begrüßt durch mich die Verfassunggebende Versammlung der deutschen Nation. Besonders herzlich begrüße ich die Frauen, die zum erstenmal gleichberechtigt im Reichsparlament erscheinen. Die provisorische Regierung verdankt ihr Mandat der Revolution;
sie wird es in die :Hände der Nationalversammlung zurücklegen. (Bravo!) In der Revolutionn erhob sich das deutsche Volk gegen eine veraltete, zusammenbrechende Gewaltherrschaft. (Zustimmung links. - Lebhafter Widerspruch rechts.) Sobald das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes gesichert ist, kehrt es zurück auf den Weg der Gesetzmäßigkeit. Nur auf der breiten Heerstraße der parlamentarischen Beratung und Beschlußfassung lassen i o sich die unaufschiebbaren Veränderungen auch auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete vorwärts bringen, ohne das Reich und sein Wirtschaftsleben zugrunde zu richten. (Sehr wahr! links.) Deshalb begrüßt die Reichsregierung in dieser Nationalversammlung den höchsten und einzigen Souverän in Deutschland. (Bravo links.) Mit den alten Königen und Fürsten von Gottes Gnaden ist 15 es für immer vorbei. (Bravo! links - Widerspruch rechts.) Wir verwehren niemanden eine sentimentale Erinnerungsfeier. Aber so gewiß diese Nationalversammlung eine große republikanische Mehrheit hat, so gewiß sind die alten gottgegebenen Abhängigkeiten für immer beseitigt. (Lebhafter Beifall links.) Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert inn alle Zukunft sich selbst. 20 (Bravo! links.) Diese Freiheit ist der einzige Trost, der dem deutschen Volke geblieben ist, der einzige Halt, an dem es aus dem Blutsumpf des Krieges und der Niederlage sichh wieder herausarbeiten kann... Meine Damen und Herren, die provisorische Regierung hat eine sehr üble 1 ? rbschaft angetreten. Wir waren im eigentlichsten Wortsinne die Konkursver- 25 Walter des alten Regimes (sehr wahr! bei den Sozialdemokraten); alle Scheuern, alle Lager waren leer, alle Vorräte gingen zur Neige, der Kredit war rrschüttert, die Moral tief gesunken. Wir haben, gestützt und gefördert vom 7cnlralrat der Arbeiter- und Soldatenräte (Lachen rechts) - gestützt und 1„(-I'iirdert vom Zentralrat der Arbeiter-und Soldatenräte (lebhafte Zustim- 30 numg bei den Sozialdemokraten - Unruhe rechts) unsere beste Kraft eingeswIr.l, bei. Gefahren und das Elend der Übergangszeit zu bekämpfen...
Sozialismus ist nach unserer Auffassung nur möglich, wenn die Produktion eine
genügend hohe Stufe der Arbeitsleistung innehält. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)... Wir wollen planmäßig den Profit dort ausschalten, wo die wirtschaftliche Entwicklung ein Gewerbe zur Vergesellschaftung reif gemacht hat.
Sorgenvoll blickt uns die Zukunft an. Wir vertrauen aber trotz alledem auf die unverwüstliche
Schaffenskraft der deutschen Nation. Die alten Grundlagen der deutschen Machtstellung sind für immer gebrochen. Die preußische Hegemonie; das hohenzollernsche Heer, die Politik der schimmernden Wehr sind bei uns für alle Zukunft unmöglich geworden. Wie der 9. November 1918 angeknüpft hat an den 18. März 1848 (Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten), so müssen wir hier in Weimar die Wandlung vollziehen vom Imperialismus zum Idealismus, von der Weltmacht zur geistigen Größe ... Jetzt muß der Geist von Weimar, der Geist der großen Philosophen und Dichter, wieder unser Leben erfüllen...
So wollen wir an die Arbeit gehen, unser großes Zielfest vor Augen, das Recht des deutschen Volkes zu wahren, in Deutschland eine starke Demokratie zu verankern (lebhafter Beifall links) und sie mit wahrem sozialen Geist und sozialistischer Tat zu erfüllen...
Die deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919, hg. von 8. El,cilrron, Bd. 1, Berlin o.J., S. 3ff.
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