Während die Parteiführung der SPD für eine repräsentative, parlamentarische Demokratie auf der Grundlage des Mehrheitsprinzips eintrat, votierte der linke Flügel der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) für eine im einzelnen nicht präzise definierte Räteverfassung und eine sozialistische Republik. Der Spartakus-Bund (Vorläufer der am 30. 12.1918 gegründeten KPD) wiederum wollte die „Diktatur des Proletariats" nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution von 1917. Die Entscheidung fiel auf dem Reichskongreß der Arbeiter- und Soldatenräte vom 16.-20. 12. 1918 in Berlin. Dort trat Ernst Däumig als Hauptbefürworter des Rätesystems auf.
Ernst Däumig über die Grundprinzipien des Rätegedankens (1920):
Das Wesen des Rätegedankens beruht auf folgenden Grundsätzen:
1. Träger des Rätegedankens kann nur das Proletariat sein, d. h. alle die Hand und Kopfarbeiter, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft dem Kapital zu verkaufen, um leben zu können. Damit steht der Rätegedanken in einem ebenso scharfen wie natürlichen Gegensatz zu dem landläufigen demokratischen Gedanken, der die Staatsbürger als eine einheitliche Masse wertet, ohne Rücksicht auf den großen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit und die aus diesem hervorgehenden Klassenscheidungen zu nehmen.
2. Da das dem Rätegedanken folgende Proletariat ausgesprochen antikapitalistische Ziele verfolgt, kann es in seinen Räteorganisationen keine kapitalistischen Vertreter dulden.
3. Da die den formalen demokratischen Gedanken verkörpernden Parlamente solange kapitalistischen Tendenzen dienstbar gemacht werden, solange die kapitalistische Produktionsform besteht, kann der Rätegedanke nicht mit den Mitteln des Parlamentarismus verwirklicht werden, sondern muß in den Keimzellen der kapitalistischen Produktion, den Betrieben, dann aber auch in verschiedenen Einrichtungen des Obrigkeitsstaates, der auf der Grundlage der kapitalistischen Produktion errichtet ist, zur Anwendung gebracht werden.
4. Da die Verwirklichung des Rätegedankens die ständige aktive Anteilnahme des Proletariats an allen wirtschaftlichen und politischen Fragen erfordert, können die Organe der Räteorganisation nicht langbefristete Vollmachten erhalten, sondern müssen stets der Kontrolle ihrer Wähler unterstehen und jederzeit abberufen werden können, wenn sie das Vertrauen ihrer Wähler nicht mehr haben.
5. Da der Rätegedanke die Befreiung des gesamten Proletariats von der kapitalistischen Ausbeutung zum Ziele hat, kann die Räteorganisation nicht die Domäne einer einzelnen Partei oder einzelner Berufsgruppen sein, sondern muß das Proletariat als Ganzes umfassen.
Ernst Däumig, Der Rätegedanke und seine Verwirklichung, in: Revolution. Unabhängiges sozialdemokratisches Jahrbuch, Berlin 1920, S. 84-97, hier zit. nach: Heinz Hürten, Zwischenkriegszeit und Zweiter Weltkrieg, Stuttgart 1982, S. 111
Däumigs Antrag, daß den Räten die höchste gesetzgebende und vollziehende Gewalt zustehen und ein neuer Rätekongreß die Verfassung beschließen sollte, wurde auf der Berliner Räteversammlung am 19.12.1918 mit 344 gegen 98 Stimmen abgelehnt. Dagegen fand der sozialdemokratische Antrag auf Festsetzung der Wahl zur Nationalversammlung am 19. 1. 1919 eine überwältigende Mehrheit.
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