Der "Brief eines reisenden Franzosen" [des Schriftstellers Riesbeck] aus dem Jahre 1783 gibt ein anschauliches Bild von der Stadt Kassel und von den finanziellen Zuständen in der Landgrafschaft.
Eine Beschreibung der Residenz Kassel aus dem Jahre 1783
Kassel ist eine sehr schöne und zum Theil prächtige Stadt von ohngefähr 32.000 Einwohnern. Die Hugenotten haben diese so wie viele andre Städte Deutschland auf unsre Kosten blühend gemacht. Sie hat sehr beträchtliche Manufakturen, besonders von Hüten, die den Lyonischen an Feinheit und Stärke nichts nachgeben, und auch mit denselben in gleichem Preiß stehen.
Die Zahl der Unterthanen des Landgrafen ist mir zuversichtlich auf 330.000 Seelen angegeben worden. Die Einkünfte aus seinen Landen sollen sich auf 220.000 rheinische Gulden belaufen. Sammt den Hanauischen Landen, die ohngefähr 100.000 Menschen zählen und etwas über 500.000 Gulden abwerfen, machen die Besitzungen dieses Hauses also doch noch kein Herzogthum Würt[t]emberg aus.
Dieser Staat ist der militärischste von ganz Deutschland; seine Bauern sind nicht nur alle exerciert, sondern auch immer in die ganze weite Welt marschfertig. Die Verschickung der heßischen Truppen nach Nordamerika ist an sich nicht ärgerlich, weil dieser Hof mit dem von St. James in einer beständigen Verbindung steht. Allein diese Verbindung selbst ist für das Land keine vortheilhafte Maxime. Unmöglich können die englischen Subsidien den Schaden ersetzen, den diese Verbindung bisher dem Land wie dem Fürsten zugefügt hat. Nach dem letzten schlesischen Krieg war das Land von aller junger Mannschaft entblößt, und kaum war wieder einige nachgewachsen, als sie nach Amerika wandern mußte. Es sollen in allem nun gegen 20.000 Hessen nach diesem Welttheil gegangen seyn, wovon gewiß die Hälfte nicht wieder zurückkömmt. Das Land hat also den sechsten Theil seiner schätzbaren Einwohner durch den Bostoner Theebrand verloren. [...]
Der Landgraf hat zwar, so lange der amerikanische Krieg dauert, seinen Unterthanen einen Theil der Abgaben erlassen; allein sie ziehen doch Haufenweise aus dem Lande, nach Hungarn, Polen und vielleicht gar nach der Türkey.
Die militärische Verfassung dieses Landes war bey einigen Anlässen dem deutschen Reiche eben so vortheilhaft, als sie dem Lande selbst schädlich war. Schon zur Zeit der Reformation kam sie der Freyheit der Reichsstände vortrefflich zu statten, und vielleicht wäre der letzte schlesische Krieg nicht so vortheilhaft für die Könige von Preussen und Großbritannien abgelaufen, wenn nicht gegen 16 bis 18tausend wackere Hessen den Damm gegen unsre Truppen verstärkt hätten.
aus: Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder zu Paris, uebersetzt von K. R., 2. Band, 1783, 60. Brief, S. 358 ff.
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