In dem zweimal wöchentlich erscheinenden und rasch auflagenstarken Reichs-Herold verknüpfte Otto Böckel geschickt seine politische Propaganda mit sozialen Aspekten, lokalen Nachrichten und praktischen Hilfestellungen. Gleichzeitig schreckte er nicht vor Verleumdungen und übler Nachrede gegenüber den Geschäftspraktiken von Juden zurück, dabei nannte er einzelne Personen und Unternehmen unverblümt namentlich oder beschrieb sie doch in einer Weise, dass unzweifelhaft feststand, wer gemeint war. Die so Diffamierten verharrten jedoch nicht in einer passiven Opferrolle, sondern wie zahlreiche im Staatsarchiv Marburg erhaltene Privatklagen belegen, versuchten sie juristisch gegen Böckel vorzugehen. Dass diese Klagen in seltenen Fällen Erfolg hatten, hing damit zusammen, dass Böckel als Abgeordneter Immunität genoss und die Delikte oftmals verjährt waren, bis diese aufgehoben war.
In der Nr. 272 des Reichs-Herold vom 10. Januar 1890 bezichtigte Böckel Siegmund Gottschalk und indirekt auch Louis Erlanger unlauterer Geschäftspraktiken, woraufhin die Denunzierten Klage beim Marburger Amtsgericht erhoben.Das Gericht kam zu folgendem Urteil: "Das Gericht erachtet hiernach für thatsächlich festgestellt, daß der Angeklagte im Januar 1890 öffentlich und zwar in der Zeitung 'der Reichsherold' durch einen mit n. Rosenthal 1. Januar überschriebenen Artikel a) in Bezug auf den Privatkläger Gottschalk nicht erweislich wahre Thatsachen verbreitet zu haben (sic!), welche geegnet sind, den p. Gottschalk in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder verächtlich zu machen, b) den Privatkläger Louis Erlanger beleidigt zu haben." Es verurteilte Böckel zur Zahlung von je 20 Mark an die Kläger und erteilte diesen das Recht, das Urteil im Reichs-Herold zu publizieren.
"Trotz mehrerer Vorbestrafungen des Angeklagten wegen desselben Vergehens" fiel das Urteil milde aus, weil "der Angeklagte sich in dem Glauben befunden hat, daß der in dem Artikel geschilderte Vorgang der Wahrheit entspräche, und daß er nur falsch berichtet war." Böckel kam mit dieser Begründung also sehr glimpflich davon.
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