Der Sankt Galler Klosterplan
Eines der meistuntersuchten und diskutierten Dokumente des Mittelalters ist der Sankt Galler Klosterplan. Die Handschrift, zusammengenäht aus fünf Pergamentteilen, zeigt auf 112 x 78 cm einen idealtypischen Klostergrundriss mit etwa 50 Gebäuden. Der Grund der Entstehung des Planes, der mutmaßlich im Kloster Reichenau entstand, ist unbekannt. Zwar erhielt das Kloster Sankt Gallen im Jahre 830 einen Kirchenneubau, doch weicht dieser von der Plangrundlage ab. Möglicherweise handelt es sich um eine Vorstudie zum Bau, die Abt Gozbert von Sankt Gallen (reg. 816-837) erstellen ließ. Von der Forschung werden immer wieder auch Verbindungen zum Kloster Fulda gezogen, dessen unter Abt Ratgar (reg. 802-817) und seinem Nachfolger Eigil (reg. 817-822) errichtete und 819 geweihte Klosteranlage dem Plan in den Proportionen näher kommt als die Gebäude in Sankt Gallen. Zudem wird als ein möglicher Ideengeber des Plans auch Walahfrid Strabo (gest. 849) ins Spiel gebracht. Dieser war Abt des Reichenauer Klosters (reg. 838/842-849) und hatte zuvor an der Klosterschule in Fulda unter Abt Rabanus Maurus (reg. 822-842) eine intensive Ausbildung erhalten, die ihn zu einem der größten Gelehrten im Karolingerreich machte. Sein unter dem Namen „Hortulus“ bekanntes Buch über die Gartenkultur ist eines der bedeutendsten botanischen Werke des Mittelalters, das auch für die Kenntnis der Heilpflanzen von großer Wichtigkeit war.
Im Plan finden sich 333 Beischriften zur Funktion der Gebäude. Der hier zunächst interessierende Teil des Kranken- und Hospitalbereichs liegt innerhalb der Klausur im oberen Teil des nicht nach Norden, sondern nach Osten ausgerichteten Plans. Eine kleinen Kirche (Eclesia), die an die Ostapsis der Klosterkirche anstößt, trennt zwei spiegelbildlich aufeinander ausgerichtete Anlagen, die jeweils einen Kreuzgang (portus / porticus) aufweisen, der zwischen einem quadratischen Gebäude im Innenraum und einer dreiflügeligen Randbebauung angelegt ist. Auf der vierten Seite befindet sich der Eingang in die Kirche. Der linke (südliche) Teil in der Ausschnittvergrößerung des Plans ist den Novizen vorbehalten, der rechte (nördliche) Teil den kranken Brüdern (fratribus infirmis).
Auf dem Gesamtplan links (nördlich) der Klosterkirche und außerhalb des Klausurbereichs befindet sich das Haus für vornehme Gäste sowie die zugehörige Küche, Bäckerei und Brauerei. Rechts der Klosterkirche (südlich) und spiegelbildlich zum Gästehaus ist der Trakt für die Pilger und Armen angelegt, unterteilt in zwei Gebäude, nämlich zum einen die Wohn- und Schlafräume und zum anderen die Funktionsgebäude mit Brauerei und Bäckerei.
Mit dem genannten Raumprogramm kam das Kloster sowohl seiner Pflicht zur Versorgung der kranken Mitbrüder nach als auch der Gastfreundschaft gegenüber Gästen, vom hochrangigen Besucher wie z.B. dem König bis hin zum Pilger und durchziehenden Armen. Eine medizinische Hilfe erfolgte gegenüber Außenstehenden wohl nur in Ausnahmefällen, da im Klosterplan einen Krankenanstalt außerhalb der Klausur nicht zu sehen ist. Immerhin ist belegt, dass die Armenfürsorge in einem frühmittelalterlichen Kloster wie St. Gallen eine große Rolle spielte. Hungernde Menschen erhielten an der Klosterpforte Speisen. Auch ist belegt, dass Salomon III. als Bischof von Konstanz und Abt von St. Gallen (reg. 890-919/920) persönlich Almosen unter den Armen verteilte und auch Fußwaschungen an den Hilfsbedürftigen vornahm.
In der Nähe von Meßkirch in Baden-Württemberg bauen seit mehreren Jahren engagierte Handwerker und Ehrenamtliche unter dem Titel “Campus Galli” mit den handwerklichen Möglichkeiten des 9. Jahrhunderts ein Kloster nach dem Vorbild des St. Galler Klosterplans.
Erläuterungen zu den Bildausschnitten:
Ausschnitt "Kranke"
Der Bildausschnitt vom Nordosten der Klosteranlage (auf dem Gesamtplan links oben) zeigt den Gebäudekomplex für die Kranken neben einer Doppelkapelle (ECLESIA). Auf der Nordseite (rechts neben der Kirche) befindet sich um einen Kreuzgang (po-rt-ic-us) das für die Mönche an diesem Orte hergerichtete Krankenhaus (fratribus infirmis pariter locus iste paretur). In den drei Flügeln sind eine Kammer (Camera), ein Speisesaal (Refectorium), das Haus des Spitalmeisters (domus magistri eorum), der Raum für die Schwerkranken (locus valde infirmorum), ein Schlafsaal (Dormitorium) und ein beheizbarer Aufenthaltsraum mit Lehmboden (pisale) untergebracht. Das daneben gelegene Ärztehaus (domus medicorum) besteht aus einer Wohnung für den Arzt (mansio medici ipsius), einem Schlafraum für die Schwerkranken (cubiculum valde infirmorum) und einem Kräuterschrank für Arzneien (armarium pigmentorum). Darüber (westlich) liegen das Küchen- und Badehaus (coquina und balnearum domus) u.a. für Aderlässe (sanguinem minuentium) sowie das Haus für die Abführkuren und Aderlässe (fletomatis hic gustandum vel potionariis). Der Kräutergarten (her-bu-la-ri-us) mit 16 Beeten im äußersten Nordosten (rechts unten) enthält folgende Pflanzen, deren Namen in der sehr verblassten Schrift nur schwer zu lesen sind (von links nach rechts und von oben nach unten): Lilien (lilium), Rosen (rosas), Salbei (salvia), Kresse (sisimbria), Raute (ruta), Kümmel (cumino), Gladiolen (gladiola), Liebstöckel (lubestico), Polei-Minze (pulegium), Fenchel (feniculum), Rosmarin (rosmarino), Pfefferminze (menta). Am Rand links: Griechisch Heu (fena graeca), Frauenminze (costo). Am Rand rechts: Pfefferkraut (sata regia) und Bohnen (fasiolo).
Ausschnitt "Vornehme Gäste"
Der Bildausschnitt zeigt die beiden Gebäude für die vornehmen Gäste im Norden der Klosterkirche. Die Überschrift sagt, dass dieses Haus den aufzunehmenden Gästen bereitet ist (Haec domus hospitibus parata est quoque suscipiendis). Im Zentrum des linken Gebäudes ist der Speisesaal (domus hospitum ad prandendum), der von Tischen (mensae) gesäumt ist. In der Mitte ist die Feuerstelle (locus foci). Neben dem Eingang von oben (ingressus) liegen die Schlafräume der Diener (cubilia servitorum). Darunter sind beheizbare Kammern mit Betten (caminatae cum lectis). Links und rechts des Gebäudes sind als Ausbuchtungen die Abtritte (necessitas) zu erkennen. Am unteren Ende befinden sich die Pferdestallungen (stabulae caballorum). Rechts neben dem Gästehaus sind in einem eigenen Gebäude die Küche (culina hospitum), eine Anrichte (promptuarium), eine Backstube (pistrinum) mit Ofen (fornax), ein Raum für die Teigzubereitung (interendae pastae locus), eine Brauerei (domus conficiendae celiae) und ein Kühlraum für das Bier (hic refrigeratur cervisia) untergebracht.
Ausschnitt "Pilger und Arme"
Der Bildausschnitt zeigt die beiden Gebäude für Pilger und Arme südlich der Klosterkirche, überschrieben mit Hic peregrinorum laetetur turba receptu (Hier wird die Menge der Pilger durch die Zuflucht erfreut). In der Mitte des oberen Gebäudes ist ein von Bänken eingefasster Raum für Pilger und Arme (domus peregrinorum et pauperum), in dessen Mitte ein Tongefäß (testu) wohl als Feuerstelle steht. Ringsherum sind die Räume der Diener (servientum mansiones), Schlafraum (dormitorium), eine Kammer (camera) und ein Vorratsraum (cellarium). Ein Gang führt zum unteren Gebäude mit Brauerei (bracitorium), Bäckerei (pistrinum) mit Ofen (fornax), einem Bierkühlraum (ad refrigerendam cervisiam) und einem Raum für die Teigzubereitung (locus conspergendi).
Literatur:
Hans Reinhardt, Der St. Galler Klosterplan, Sankt Gallen 1952 (Historischer Verein des Kantons St. Gallen. Neujahrsblatt 92); Konrad Hecht, Der St. Galler Klosterplan, Sigmaringen 1983, Ndr. Wiesbaden 1997; Peter Ochsenbein / Karl Schmuki (Hg.), Studien zum St. Galler Klosterplan 2, Sankt Gallen 2002; Andrea zur Nieden, Der Alltag der Mönche. Studien zum Klosterplan von St. Gallen, Hamburg 2008; Ernst Tremp (Hg.), Der St. Galler Klosterplan. Begleittext, Beischriften und Übersetzung, St. Gallen 2014.
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