Der Fuldaer Abt Marquard übergibt der Krankenstation seines Klosters Güter und Abgaben im Praforst (Landkreis Fulda)
Ego Marcwardus dei gratia Fuldensis abbas, cum viderim fratrum meorum infirmariam paucis reditibus usque ad mea tempora fuisse dispositam, hoc ordine eam ampliavi ac melioravi eo tenore, ut infirmis et debilibus maior ibi possit esse requies et recreatio pro eius amore, qui suis fidelibus in fine mundi dicturus est: „Infirmus fui et visitastis me“ et „Quoad uni ex minimis meis fecistis, mihi fecistis“. Villa in Riggozes pro custodia forestis nostri in Bramuirst duobus lydis dimissa fuit, sed, eadem silva a medio facta, predicta villa servicio nostro vacavit. Ego igitur sciens ex divino mandato curam infirmorum amplius mihi incumbere pro allevianda eorum penuria eandem ad infirmariam fratrum meorum Fuldensium tradidi et censum, qui inde persolvitur, decrevi ibidem infirmantium indigentie administrari. Porro prefati cognoscentes mansos suos infirmorum domui allegatos esse cum fratre nostro Ortwino, procuratore tunc temporis eiusdem obedientie, in hoc verbo convenerunt, ut singulis annis in festo sancte Walpurgis datis VII solidis et VI denariis tantumque tribute in festo sancti Martini et X solidis in epifania domini eosdem mansos iure hereditario possiderent hoc adiecto, ne quicquam ex his, que ad ipsos mansos pertinent, invaderent nec eosdem mansos per maiores vel minores natu se vel beneficiali iure aliis pertinentes quovis modo alienarent. Igitur me permittente et predicto fratre nostro Ortwino concedente eadem illis in hereditatem cessit, quamdiu hoc decretum per nos ab illis persolvitur. Quodsi per eos negligitur, ipsa hereditate priventur. Acta sunt hec anno dominice incarnationis M°C°LVIII, indictione VIa, imperante F(riedrico) Romanorum imperatore augusto, G. advocato, presente omni congregatione nostra. Hi sunt testes huius rei: Ludwicus d(ecanus), Hermannus prepositus, Lambertus camerarius et ministeriales ecclesie: Trageboto, Willehart, Rupraht et alii. Ego M(arcward)us abbas Fuldensis hanc traditionem feci et sigillo meo confirmatam memorie futurorum et presentium reliqui. Quicumque ergo traditionem violaverit, perpetuo anathemate innodatus ab ipso domino et ab omnibus sanctis sequestrandus erit.
Übersetzung
Ich Marquard, von Gottes Gnaden Abt zu Fulda, habe in Anbetracht der bis zu meinen Zeiten reichenden geringen Ausstattung der Krankenstube meiner Brüder, jene nach der Maßgabe vergrößert und verbessert, dass den Kranken und Schwachen dort mehr Ruhe und Genesung durch die Liebe dessen zuteil werden kann, der seinen Getreuen am Ende der Tage sagen wird: „Ich war krank und ihr habt mich besucht“[1] und „Was ihr für einen der geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“[2]. Der mit zwei Liten[3] zur Aufsicht unseres Waldes im Bramfirst[4] besetzte Hof in Rex[5] ist aufgegeben worden, nachdem er durch die Rodung des dortigen Waldes für unseren Dienst nicht mehr benötigt wurde. Da mir der göttliche Auftrag, mich um die Krankenfürsorge mehr zu kümmern, bewusst ist, habe ich zur Linderung des Mangels bei den Kranken diesen Hof an die Krankenstube meiner fuldischen Brüder übergeben und mit ihm auch den Zins, der von daher bezahlt wird und habe befohlen, diesen daselbst wegen der Not der Kranken hinzugeben. Ferner stimmen die Vorgenannten[6] in Kenntnis, dass ihre Huben[7] dem Haus der Kranken übereignet werden mit unserem Bruder Ortwin, dem derzeitigen Verwalter, darin überein, dass jedes Jahr am Fest Walpurgis[8] 7 Schillinge und 6 Pfennige[9], ebenso der gleiche Betrag an Sankt Martin[10] und 10 Schillinge an den Heiligen Drei Königen von diesen Huben, die sie zu Erbrecht besitzen sollen, gegeben werden mit dem Zusatz, dass keiner von denen, die zu diesen Huben gehören, diese weder an sich reißt noch durch Ältere oder Jüngere mit Bezug auf das Lehenrecht in welcher Form auch immer entfremdet. Deshalb habe ich dem vorgenannten unseren Bruder Ortwin erlaubt und zugestanden, dass er jene[11] beerbt, solange sie auf Grund dieser Verfügung an uns bezahlen müssen. Wenn nun das durch jene bestritten wird, werden sie ihres Erbes beraubt. Dies ist geschehen im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1158, in der 6. Indiktion[12], zur Zeit der Regierung des römischen Kaisers Friedrich[13], in Gegenwart des gesamten Konvents und des Vogtes G[14]. Dies sind die Zeugen dieser Sache: Dekan Ludwig, Propst Hermann, Kämmerer Lambert und die Ministerialen der Kirche: Trageboto, Willehart, Rupraht und andere. Ich Marquard, Abt zu Fulda, habe diese Übergabe gemacht und bestätigt mit meinem Siegel zur Erinnerung der Zukünftigen und Gegenwärtigen hinterlassen. Wer auch immer diese Übergabe verletzt, soll ewig verflucht und gebannt und vom Herrn und allen Heiligen getrennt sein.
[1] Nach Matthäus 25,36 Teil der Regel des Heiligen Benedikt (Kapitel 36).
[2] Ebenfalls zitiert in Kapitel 36 der Benediktsregel nach Matthäus 25,40.
[3] Liten sind „halbfreie“ Bauern, die ihr Grundstück zu Erbrecht besitzen konnten, aber Zins an einen Grundherrn zahlen mussten.
[4] Der heutige Praforst, der im Mittelalter weite Teile des Hünfelder Landes einnahm.
[5] Rex, Ortsteil der Gemeinde Petersberg, Landkreis Fulda. In der Urkunde ist von einer villa die Rede, die man auch als „Dorf“ übersetzen kann. Möglicherwiese bestand das Anwesen zu dieser Zeit auch nur aus einem großen Hof, von dem aus die Aufsicht über den Praforst ausgeübt wurde.
[6] Gemeint sind offenbar die Liten.
[7] Hube, Hufe oder Manse bezeichnet eine Hofstelle. Sie galt im fränkisch-deutschen Reich als Grundeinheit bei der herrschaftlichen Verwaltung und Besteuerung des Grundbesitzes. Idealtypisch umfasste die Hufe 30 Morgen. Dies entsprach je nach Bodengüte, Region und Zeitraum einer Hofgröße zwischen 5 und 20 Hektar.
[8] 1. Mai.
[9] Schillinge (lateinisch solidi)sind zu dieser Zeit keine ausgeprägte Münzen, sondern eine Recheneinheit, die mehrere Pfennige (hier wohl 12) umfasste. 7 Schillinge und 6 Pfennige entsprechen somit ausgeprägten 90 Pfennigen.
[10] 11. November.
[11] Wiederum sind die Liten gemeint.
[12] Die Indiktion bezeichnete im Mittelalter einen 15jährigen Jahreszyklus, der besonders in Königsurkunden zusätzlich zur Jahresangabe verwendet wurde.
[13] Kaiser Friedrich I. (reg. 1152-1190).
[14] Der Vogt eines Klosters war ein Adeliger, der die weltlichen Aufgaben, insbesondere im Bereich des Gerichtswesens im Auftrag wahrnahm. Gemeint ist hier Gottfried I. von Reichenbach-Ziegenhain. Die Grafen von Ziegenhain waren bis in das 14. Jahrhunderte Vögte des Klosters Fulda.
Erläuterung
Über die bauliche und personelle Ausstattung eines Infirmariums ist nur wenig bekannt. Die vorliegende Urkunde, die nicht im Original, sondern nur in einer unter Abt Marquard von Fulda (reg. 1150-1165) gefertigten Abschrift, dem sogenannten Codex Eberhardi[1] überliefert ist, muss als früheste urkundliche Erwähnung einer solchen Einrichtung für den Bereich des heutigen Hessen gelten. Infirmarien sind auch für andere hessische Klöster wie Eberbach, Lorsch und Hersfeld anzusetzen. Im Falle Fuldas wird berichtet, dass der tatkräftige Abt, der auch ansonsten das im Niedergang begriffene Kloster neu organisierte, mit der Übergabe eines Hofguts für eine bessere finanzielle Ausstattung der Krankenstube sorgte. Diese bestand möglicherweise aus einem eigenen Gebäude, da in der Urkunde von einem Haus (domus) die Rede ist. Unter Berufung auf die Regel des Heiligen Benedikt sieht sich Marquard selbst in der Pflicht, für eine ausreichende Versorgung des Infirmariums seines Klosters zum Wohl der Mönche zu sorgen. Hierbei kam ihm gelegen, dass der Hof mitten in einem Rodungsgebiet seine eigentliche Funktion als Heimstätte für zwei namentlich unbekannte Forsthüter verloren hatte. Diese konnten den Hof behalten, zahlten aber davon einen jährlichen Zins an den Verwalter der Krankenstube, den Mönch Ortwin. Die folgende Regelung, wonach dieser Hof dem Kloster nicht entfremdet werden durfte, ist vor dem Hintergrund der schmerzlichen Erfahrungen des Klosters Fulda in der Zeit vor Marquard zu sehen. Viele Güter, die vom Kloster zu Lehen an Adelige ausgegeben worden waren, wurden von diesen einseitig als Eigenbesitz (Allod) erklärt und dem Kloster damit entzogen. Die Funktion eines Infirmariums kann folgendermaßen zusammengefasst werden: „Dem Sterbenden wurde in der Infirmarie die Letzte Ölung und das Abendmahl mit Absolution im Kreise seiner eilig herbeigerufenen Brüder erteilt; nach Eintritt des Todes erfolgte die Waschung des Leichnams, dann seine Überführung in die Kirche und schließlich seine Beisetzung auf dem Friedhof. Das Sterberitual, das das Seelenheil der verstorbenen Brüder garantieren sollte, fand an keinem anderen Ort als in der Infirmarie statt. Abgesehen von dieser zentralen Aufgabe waren in der Infirmarie aber auch die Brüder untergebracht, die aus gesundheitlichen Gründen den strengen Regeln des klösterlichen Alltags vorübergehend oder aus Altersgründen nicht (mehr) gewachsen waren“ (Gaby Lindenmann-Merz, 2016).
[1] Es handelt sich hierbei um eine durch den Fuldaer Mönch Eberhard verfasste abschriftliche Zusammenstellung verschiedener Traditionsnotizen, Urkunden und Besitzverzeichnisse des Klosters Fulda (Staatsarchiv Marburg K 425 und 426). Eberhard hat viele Dokumente gekürzt und gar verfälscht. Da die der Abschrift zugrunde liegenden Originale zum großen Teil nicht mehr vorhanden sind, ist der Codex Eberhardi als Quelle unverzichtbar.
Literatur
Heinrich Meyer zu Ermgassen (Hg.), Der Codex Eberhardi des Klosters Fulda, 3 Bände, Marburg 1994-2007 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 58/1-3), hier Band II, S. 353 (Edition); Frank Theisen, Mittelalterliches Stiftungsrecht. Eine Untersuchung zur Urkundenüberlieferung des Klosters Fulda im 12. Jahrhundert (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, Band 26), Köln u.a. 2002, S. 387 f. (Regest); Helmut Hildebrandt, Wann wurde der Bramforst besiedelt? Bemerkungen zum früh- und hochmittelalterlichen Landesausbau im Hünfelder Land, in: Magistrat der Stadt Hünfeld (Hg.), Hünfeld – 1200 Jahre Campus Unofelt – 10 Jahre Großgemeinde, Hünfeld 1982, S. 94-110; Eduard Seidler / Karl-Heinz Leven, Geschichte der Medizin und der Krankenpflege, 7. Aufl., Stuttgart 2003, S. 90-94:Gaby Lindenmann Merz, Zur Deutung des sogenannten Eberbacher Hospitals als Infirmarie des Klosters, in: Denkmalpflege & Kulturgeschichte 4/2016, S. 2-9 (https://lfd.hessen.de/sites/lfd.hessen.de/files/content-downloads/Lindenmann-Merz-lang.pdf ).
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