Luthers, Ecks und Karlstadts Thesen zur Leipziger Disputation im Juni/Juli 1519
Die Leipziger Disputation sollte somit ursprünglich zwischen Johannes Eck (1486-1583 Prof. der Theologie in Ingolstadt) und Andreas Karlstadt stattfinden; da jedoch Eck in Luther den eigentlichen Gegner sah, gestaltete sie sich zu einer Disputation zwischen Eck und den beiden Wittenbergern.
1. Luthers Thesen zur Leipziger Disputation (Juni/Juli 1519)
Wider neue und alte Irrtümer wird Martinus Luther die folgenden Thesen auf der Hohen Schule zu Leipzig verteidigen:
- Täglich sündigt ein jeder Mensch, aber auch täglich tut er Buße wie Christus lehrt: »Tut Buße!«, außer einem vermeintlichen neuen Gerechten, der der Buße nicht bedarf, obwohl doch der himmlische Weingärtner auch die fruchtbringenden Reben täglich reinigt.
- Dass der Mensch auch im Guten sündige und dass die lässliche Sünde nicht an sich selbst, sondern allein durch Gottes Barmherzigkeit eine solche sei oder dass die Sünde auch nach der Taufe noch im Kinde bleibe, das zu leugnen heißt Paulus und Christus zugleich mit Füßen treten.
- Wer da behauptet, dass das gute Werk oder die Buße beim Abscheuvor den Sünden noch vor der Liebe zur Gerechtigkeit anhebe und dass man darin nicht mehr sündig sei, den rechnen wir zu den pelagianischen Ketzern, tun aber auch dar, dass der zugleich gegen seinen heiligen Aristoteles verstößt.
- Gott verwandelt die ewigen Strafen in zeitliche, nämlich das Kreuz zu tragen. Dies aufzuerlegen oder wegzunehmen aber haben Kirchensatzungen oder Priester keine Macht, ob sie gleich, durch schädliche Heuchler verführt, sich dieselbe an-maßen mögen.
- Ein jeglicher Priester muss den Bußfertigen von Strafe und Schuld [a poena et culpa] lossprechen; wenn nicht, sündigt er. Ebenfalls sündigt auch ein höherer Prälat, wenn er heimliche Dinge ohne höchst wichtige Ursache zurückhält, mag auch der Brauch der Kirche, d.h. der Heuchler, dawider sein.
- Vielleicht leisten die Seelen im Fegefeuer Genugtuung; dass aber Gott von einem Sterbenden mehr als die Willigkeit zum Sterben verlange, ist eine gänzlich unbegründete und verwegene Behauptung, da das auf keine Weise bewiesen wer-den kann.
- Völlige Unkenntnis des Glaubens, der Reue wie des freien Willens verrät der, der schwätzt, der freie Wille sei Herr über die Taten, seien es die guten oder die bösen, oder der da träumt, dass einer nicht allein durch den Glauben ans Wort gerechtfertigt werde öder dass der Glaube nicht durch jedes Verbrechen aufgehoben wird.
- Es soll zwar wider Wahrheit und Vernunft [veritas et ratio] sein, dass die, die ungern sterben, Mangel an Liebe besitzen und deswegen die Ängste des Fegefeuers zu erleiden haben, jedoch nur dann, wenn Wahrheit und Vernunft dasselbe bedeuten wie die Anschauungen der Theologisten.
- Wir wissen wohl, dass von den Theologisten behauptet wird, >die Seelen im Fegefeuer seien ihres Heiles gewiss< und >die Gnade werde in ihnen nicht mehr gemehrt<, doch verwundern wir uns dieser hochgelehrten Männer, dass sie für diesen ihren Glauben keinerlei glaubhafte Begründung auch nur im Geringsten vorbringen können.
- Dass das Verdienst Christi der Schatz der Kirche sei und der durch die Verdienste der Heiligen noch bereichert wird, das ist gewiss. Dass das aber ein Schatz des Ablasses sei, das erdichtet nur ein schändlicher Speichellecker, oder die von der Wahrheit abirren und gewisse falsche Übungen und Bräuche der Kirche.
- Zu sagen, der Ablass sei für die Christen etwas Gutes, heißt verrückt sein; in Wahrheit ist er nämlich gerade die Verhinderung einer guten Tat. Darum muß ein Christ den Ablass verwerfen wegen des Missbrauches, weil der Herr sagt: »Ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen« [Jes 43,25], nicht: um des Geldes willen.
- Dass der Papst jede Strafe erlassen könne, die man für seine Sünden schuldig ist, sowohl für dies wie für das zukünftige Leben, und dass der Ablass auch denen zugute komme, die nichts Böses getan haben, das träumen nur die gänzlich ungelehrten Sophisten und die verderblichen Speichellecker, können es aber mit keinem Buchstaben beweisen.
- Dass die römische Kirche über allen anderen sei, wird wohl aus den kahlen Dekreten der römischen Päpste begründet, die seit 400 Jahren aufgekommen sind; dawider aber stehen die beglaubigten Historien von 1100 Jahren, ebenso der Wort-laut der Heiligen Schrift und der Beschluss des Konzils von Nizaea [vgl. Bd. I Nr. 56], des heiligsten von allen.
2. Ecks Hauptthesen
7. Derjenige irrt, der da leugnet, dass der freie Wille des Menschen der Herr der Handlungen des Menschen sei, als ob der Wille sich in bezug auf das Böse aktiv verhalte, in bezug auf das Gute aber nur passiv .. .
13. Dass die römische Kirche vor den Zeiten des Silvester [Papst Silvester I, 314-335] nicht über den anderen gestanden habe, das leugnen wir. Im Gegenteil, den, der den Stuhl und den Glauben des heiligen Petrus gehabt hat, den haben wir immer als den Nachfolger Petri und den Statthalter Christi anerkannt.
3. Karlstadts Hauptthesen
11. Der freie Wille taugt – vor der Gnade, die durch den Heiligen Geist eingegossen wird – nur zum Sündigen .. .
12. Vielmehr: Unser Wille, der nicht vom göttlichen Willen regiert wird, nähert sich um so schneller der Gottlosigkeit, je eifriger er aufs Handeln bedacht ist.
Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Bd. III. Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 3. verb. Aufl. 1988, Neukirchen -Vluyn 1988, S. 41-43
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