Augsburger Judenprivileg Kaiser Friedrich II., Juli 1236
Druck: MGH Constitutiones Bd. 2, Nr. 204, S. 274-276. Übersetzung in: Quellen zur deutschen Verfassungs- Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, ausgew. u. übersetzt von L. WEINRICH, Darmstadt 1977, Nr. 123, S. 497-503
Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit. Friedrich II., durch das Walten von Gottes Gnaden Römischer Kaiser, allzeit Mehrer des Reiches, König von Jerusalem und Sizilien.
Obgleich die kaiserliche Würdevormacht gehalten ist, über alle dem Römischen Reich Unterstellten den Arm des Schutzes auszustrecken, und gleichsam zur Schirmung des Glaubens aus göttlicher Bestimmung berufen, es ihr angemessen ist, die getreuen Christgläubigen mit besonderer Gunst zu fördern, ist es nichtsdestoweniger ihre Pflicht gegenüber den Rechtsbestimmungen, die für die Ungläubigen erlassen wurden, diese als ein ihr besonders anvertrautes Volk gütig zu regieren und gerecht zu schützen, damit sie nicht etwa, die mit den Gläubigen zusammen im Schutz und Schirm Unserer Erhabenheit stehen, von Mächtigeren gewaltsam bedrängt werden. Daher ergibt es sich also, daß aus dem Wort-laut des vorliegenden Schriftstücks die gegenwärtige Zeit und die künftige Nachwelt wissen möge, daß alle Unsere Kammerknechte Deutschlands [universi Alemannie servi camere nostre] Unsere Hoheit ersucht haben, Wir möchten doch geruhen, das Privileg des seligen Kaisers, Unseres Großvaters Friedrich seligen Angedenkens, das den Wormser Juden und ihren Genossen gewährt war, aus Unserer Gnade heraus allen Juden Deutschlands bestätigen.
Der Wortlaut dieses Privilegs geht folgendermaßen: „Im Namen der heiligen ... in Christus, Heil und Segen. Amen.“ [Transsumt des Wormser Judenprivilegs Friedrich I. von 1157]
Indem Wir daher für die Unangefochtenheit und den ruhigen Stand der Juden in Deutschland Vorsorge tragen, glaubten Wir allen Juden, die unmittelbar zu Unserer Kammer gehören, folgende besondere Gunst erteilen zu sollen: und zwar, daß Wir in Nachahmung und Nachfolge der Verfügungen Unseres genannten Großvaters das zuvor aufgeführte Privileg und das, was in ihm enthalten ist, so wie es der selige Kaiser, Unser Großvater, den Wormser Juden und ihren Genossen freigebig gewährt und verliehen hat, ihnen aus angeborener Güte bestätigen.
Außerdem wollen Wir, es möge allen Gegenwärtigen und Zukünftigen bekannt sein: Da wegen der Ermordung einiger Fuldaer Knaben1 den Juden, die zu der Zeit in dieser Stadt wohnten, eine schwere Beschuldigung aufgebürdet wurde, weswegen gegen die übrigen Juden in Deutschland aufgrund dieses beklagenswerten Vorfalls von auftauchendem Unheil allgemein eine schwere Mißstimmung der Nachbarbevölkerung drohte — obgleich die Umstände der geheimen Untat nicht geklärt werden konnten, — haben Wir zur Untersuchung der Wahrheit bei dieser Beschuldigung Fürsten, Große, Edle sowie viele Reichsäbte und Ordensleute von überall her vor Unser Hofgericht geladen und Vorsorge getroffen, von ihnen kundigen Rat zu erlangen. Diese haben, da sie Verschiedene waren, über diesen Fall verschieden geurteilt, und konnten darüber nicht, wie es angemessen gewesen wäre, einen hinreichenden Beschluß finden; darum haben Wir also aus den geheimen Tiefen Unseres Wissens heraus die Ansicht vertreten, gegenüber den Juden, die des genannten Verbrechens beschuldigt werden, könne nicht angemessener vorgegangen werden als durch diejenigen, die Juden gewesen sind und zur Verehrung des christlichen Glaubens bekehrt wurden, die gleichsam als Leute auf der anderen Seite nichts verschweigen würden, was sie von daher wissen könnten über sie oder über die mosaischen Bücher oder durch den Wortlaut des Alten Testaments. Obgleich angesichts der Geltung der vielen Bücher, die Unsere Hoheit herangezogen hat, Unser Wissen die Unschuld der genannten Enden für rechtlich erwiesen hält, haben wir dennoch zur Genugtuung wohl für das ungebildete Volk wie für das Recht, aus Unserem umsichtigen, heilsamen Entschluß heraus wie auch in einmütigem Einverständnis dieser Fürsten, Großen, Äbte und Ordensleute wegen dieses Falles zu allen Königen des Abendlandes Sonderbotschafter geschickt, durch die Wir aus deren Königreichen möglichst viele im Judengesetz erfahrene Neugetaufte vor Uns beschieden haben. Als diese an Unserem Hofe nicht wenig Zeit verbrachten, haben Wir ihnen zur Erforschung der Wahrheit den Auftrag erteilt, daß sie ein sorgfäliges Studium auf die Untersuchung verwenden und Unser Wissen unterrichten sollten, ob diese Juden etwa eine besondere Auffassung vom menschlichen Blut hätten, um etwa gar auch ein anderes Verbrechen zu vollbringen, eine Auffassung, die diese Juden hätte veranlassen können, die vorgenannte Untat zu begehen. Deren entsprechende Aussagen wurden sodann veröffentlicht: Weder im Alten noch im Neuen Testament ist kundgetan, die Juden seien gierig danach, Menschenblut zu schöpfen; vielmehr — und dies ist das Gegenteil des zuvor Gesagten: Daß sie sich überhaupt vor jeder Befleckung mit Blut hüten dürften, können wir ganz ausdrücklich feststellen in der Bibel, die auf hebräisch „Bereschith” heißt, an den Geboten, die dem Moses gegeben wurden, und an den jüdischen Gesetzen, die auf hebräisch „Talmud” heißen; und dabei dürfen wir in einer wohlbegründeten Vermutung vermuten: Sie, denen sogar das Blut der erlaubten Tiere untersagt ist, dürften keinen Durst auf Menschenblut haben (wegen der Schauderhaftigkeit der Sache, wegen des Verbots der Natur und der Gemeinsamkeit der Art, nach der sie auch die Christen lieben), und sie würden deswegen, weil sie etwa das hinsichtlich der Tiere Bestimmte hinsichtlich der Menschenleichen für nichtig halten können, nicht Besitz und Leben aufs Spiel setzen; – darum also haben wir nach Abgabe eines Fürstenspruchs die Juden des oben genannten Ortes von dem ihnen vorgeworfenen Verbrechen und die anderen Juden Deutschlands von dem Vorwurf einer so schweren Verruchtheit völlig freigesprochen.
Deswegen gebieten Wir kraft des vorliegenden Privilegs und untersagen vollständig, daß irgendein Herr, weder geistlich noch weltlich, hoch oder niedrig, unter dem Vorwand einer Predigt oder einer Gelegenheit – die Schultheißen, Vögte, Bürger oder andere sonst –, die genannten Juden besonders oder allgemein wegen des zuvor genannten Verrufs anklagt oder ihnen irgend etwas Bemerkenswertes oder Schlimmes in dieser Hinsicht vorwirft; schließlich sollen alle wissen, daß, da der Herr in seinen Knechten geehrt wird, sie nicht zögern sollen, jedermann, der sich den Juden, Unseren Knechten, gegenüber huldvoll und wohlwollend zeigt, Uns zu melden; die übrigen aber, die sich herausnehmen, gegen die Urkunde dieser Unserer vorliegenden Bestätigung und Freisprechung anzugehen, werden der Ungnade Unserer Hoheit verfallen.
Damit aber die vorliegende Bestätigung und Freisprechung in unerschütterter Rechtskraft für immer und ewig dauere, haben Wir das vorliegende Privileg daraufhin abfassen und mit der goldenen Bulle, in die das Siegel Unserer Hoheit eingeprägt wurde, versehen lassen. Zeugen dieses Vorgangs sind: die Erzbischöfe Siegfried von Mainz, Eberhard von Salzburg und Dietrich von Trier, die Bischöfe Ekbert von Bamberg und Konrad von Speyer; Wladislaus König von Böhmen, der Herzog von Bayern, der Markgraf von Brandenburg, der Landgraf von Thüringen, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Baden, Konrad Burggraf von Nürnberg, Konrad von Hohenlohe, Eberhards Schenk von Winterstetten, Bruder Hermann Hochmeister des Ordenshauses vom Spital der Deutschen; Bruder Berthold von Tannroda und recht viele andere.
Handzeichen des Herrn Friedrich II., von Gottes Gnaden unüberwindlichster Römischer Kaiser, allzeit Mehrer des Reiches, König von Jerusalem und Sizilien. Verhandelt wurde dies im Jahre der Geburt des Herrn 1236, im Monat Juli, in der 9. Indiktion, unter der Kaiserherrschaft unseres Herrn Friedrich II., von Gottes Gnaden unüberwindlichster Römischer Kaiser, allzeit Mehrer des Reiches, König von Jerusalem und Sizilien, im 17. Jahr seines Römischen Kaisertums, dem 11. seines Königreichs Jerusalem und dem 38. seines Königreichs Sizilien; Heil und Segen. Amen.
Gegeben zu Augsburg, Jahr, Monat und Indiktion wie oben angegeben.
1 Fuldaer Bürger und Kreuzfahrer hatten 32 Juden erschlagen, weil angeblich 5 Kinder eines Müllers von Juden in einem Ritualmord umgebracht worden waren
Quellen zur deutschen Verfassungs- Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, ausgew. u. übersetzt von L. WEINRICH, Darmstadt 1977, Nr. 123, S. 497-503
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