Berichte Luthers und Ecks über die Leipziger Disputation, 20. und 24. Juli 1519
1. Bericht Luthers von der Leipziger Disputation an Spalatin, 20. Juli 1519
... Zuerst wurde mit Karlstadt eine Woche lang über den freien Willen disputiert [27. Juni – 3. Juli]. Karlstadt nahm die Bücher mit und legte die eigenen Beweis-gründe und Lösungen (mit Gottes Hilfe) trefflich und sehr ausführlich dar. Als ihm danach auch Gelegenheit gegeben wurde [gegen Ecks Thesen] zu opponieren, erhob Eck Einspruch, er wolle nicht weiter diskutieren, wenn die Bücher nicht da-heimgelassen würden; wo Andreas [Karlstadt] es doch deshalb getan hatte, um ihm ins Gesicht zu zeigen, dass er [Karlstadt] die Stellen aus der Bibel und den Vätern richtig zitierte und nicht gewaltsam behandelte, wie Eck dessen überführt worden war. Hier entstand ein neuer Tumult. Schließlich wurde zugunsten Ecks beschlossen, die Bücher daheimzulassen . . . […]
In der nächsten Woche [4.—8. Juli] stritt er mit mir zuerst überaus heftig über den Primat des römischen Papstes. Seine Stärke bestand in den Worten: »Du bist Petrus« [Mt 16,18], »Weide meine Schafe« [Joh 21,17] und »Stärke deine Brüder« [Lk 22,32], denen er viele Väteraussagen hinzufügte. Was ich geantwortet habe, wirst Du [Spalatin] demnächst sehen. – Dann trieb er's aufs äußerste und stützte sich mit seinem ganzen Schwergewicht auf das Konzil zu Konstanz, das ja den Artikel von Huss verdammt hat, der sagte, das Papsttum stamme vom Kaiser – als ob es [kraft dieser Verdammung] göttlichen Rechts wäre! Da, gleichsam auf seinem eigenen Schlachtfeld, drang er tapfer vor, indem er mir die Böhmen vorhielt und mich offen als Häretiker und Beschützer der böhmischen Ketzer beschuldigte. Ist er doch ein ebenso unverschämter wie verwegener Sophist. Merkwürdigerweise haben diese Anschuldigungen die Leipziger mehr gekitzelt als die Disputation selbst. Ich hielt umgekehrt die Griechen in den letzten tausend Jahren und die alten Väter entgegen, die nicht unter der Gewalt des Papstes gewesen sind, obwohl ich ihm den Ehrenprimat nicht absprechen möchte. Und schließlich wurde auch über die Autorität des Konzils disputiert. Ich habe offen bekannt, es seien etliche Artikel gottloserweise verdammt worden, weil sie ja auf offenen und klaren Worten des Paulus, des Augustin [vgl. Bd. I Nr. 91], schließlich Christi selbst gebaut seien. Hier aber blähte sich die Viper auf und übertrieb mein Verbrechen und kam fast außer sich vor Schmeicheleien für die Leipziger. Schließlich bewies ich aus den eigenen Worten des Konzils, dass nicht alle dort versammelten Artikel häretisch und irrig sind', dass er deshalb mit seinen Beweisen nichts ausgerichtet habe. Und so hängt diese Sache noch in der Schwebe.
In der dritten Woche [8.–14. Juli] disputierten wir über die Buße, das Fegefeuer, den Ablass und die Gewalt eines jeden Priesters, die Absolution zu erteilen (mit Karlstadt disputierte er nämlich ungern, sondern auf mich allein ist er losgestürzt). Der Ablass kam allerdings ganz und gar zu Fall, und er stimmte mit mir fast in allem überein; die Verteidigung des Ablasses ging in Gelächter und Gespött unter, während ich darin zuvor den Hauptpunkt der Disputation erwartet hatte ... Er soll sogar zugegeben haben, er wäre gern bereit gewesen, mit mir in allem übereinzustimmen, wenn ich nicht die Gewalt des Papstes in Frage gestellt hätte
Als so meine Disputation abgeschlossen war, disputierte er an den letzten drei Tagen [14.–16. (?) Juli] nochmals mit Karlstadt, wobei er wiederum alles zugab und sein Einverständnis erklärte: dass das »Tun, was an einem ist«2, Sünde sei; dass der freie Wille ohne die Gnade nichts als sündigen könne; dass in jedem guten Werk Sünde sei; dass das »Tun, was an einem ist« bei dem sich auf die Gnade bereitenden Menschen die Gnade selbst sei. Dies alles verneinen die Scholastiker. So ist bei dieser Disputation nahezu nichts behandelt worden, jedenfalls nicht in würdiger Weise, außer meiner 13. These. Vorläufig findet Eck Beifall, er triumphiert und spielt den Meister, aber nur solange, bis wir das Unsere veröffentlicht haben werden. Weil die These nur dürftig disputiert worden ist, will ich die Resolutionen von neuem herausgeben.
Die Leipziger haben uns freilich weder begrüßt noch besucht und uns wie Tod-feinde behandelt. Ihn begleiteten sie, liefen ihm nach, schmausten mit ihm zusammen, luden ihn ein, schließlich schenkten sie ihm ein Gewand und feinen Wollstoff dazu, mit ihm ritten sie auch spazieren. Kurz: was sie nur ausdenken konnten, haben sie zu unserer Kränkung versucht .. .
2. Bericht Ecks über die Leipziger Disputation an Jakob Hochstraten, 24. Juli 1519
Nach der Disputation schrieb Eck am 24. Juli 1519 an den Kölner Theologen und Inquisitor Jakob Hochstraten (Hoogstraeten, ca. 1460–1527), bekannt vor allem durch den Reuchlin-Streit um ihn zur Einflussnahme auf die Pariser Universität zu bewegen, die neben Erfurt mit der Begutachtung der Disputation betraut war. Darin berichtet er von den Vorgängen bei der Disputation.
Kürzlich haben wir in Leipzig disputiert, in einem voll besetzten Hörsaal, in dem sich von überall her die gelehrtesten Männer versammelt hatten. Dort ist (Gott sei Lob, Ehre und Herrlichkeit) ihr [= der Wittenberger] Ruf sehr heruntergekommen, auch beim Volk; bei den Gelehrten ist er größtenteils ganz durchgefallen. Ihr hättet die Verwegenheit der Leute hören müssen, wie blind sie sind und zu Bosheiten unerschrocken.
Luther leugnet, dass Petrus der Oberste der Apostel gewesen ist; leugnet, dass der kirchliche Gehorsam durch göttliches Recht legitimiert ist, sondern behauptet, er sei durch menschliche oder kaiserliche Einwilligung eingeführt. Er leugnet, dass die Kirche auf Petrus gebaut ist: »Auf diesen Fels« usw. [Mt 16,18]. Und als ich diese Aussagen von Augustin [vgl. Bd. I Nr. 91], Hieronymus [vgl. Bd. I Nr. 82], Ambrosius [vgl. Bd. I Nr. 85], Gregor, Cyprian [vgl. Bd. I Nr. 37], Chrysostomus, Leo und Bernhard [vgl. Bd II Nr. 30–31] zusammen mit Theophilus über diese Stelle anführte, verwarf er sie alle ohne Scham und sagte, er als einziger wolle tausend widerstehen – nur darauf gestützt, dass Christus der Grund der Kirche sei und niemand einen anderen Grund legen kann. Das widerlegte ich, indem ich noch jene Stelle aus der Offenbarung Kap. 21[,14] über die zwölf Grundsteine heranzog; zur Verteidigung machte er geltend, dass die Griechen, also gar die Schismatiker, doch gerettet würden, wenn sie auch nicht unter der Obödienz des Papstes stehen. – Über die Artikel der Böhmen sagte er, unter den vom Konzil zu Konstanz verdammten Artikel seien einige sehr christlich und evangelisch. Durch diesen verwegenen Irrtum hat er viele erschreckt und von sich abwendig gemacht, die ihm zuvor wohlgesonnen waren .. .
Aber in manchen Dingen haben sie mir ein Bein zu stellen versucht [obruerunt]; erstens, weil sie Bücher mit sich brachten, in denen sie sich auskannten, und sie brachten sie mit in die Disputation, und nahmen sofort zu ihnen Zuflucht; ja, sie haben vielmehr dauernd aus den Büchern vorgelesen, zu ihrer großen Verspottung. Zweitens, weil sie die Disputation immer aufgeschrieben und nachher zu Hause besprochen haben; ich meinerseits habe niemals nur ein Wort gesehen, bis die Disputation zu Ende war. Drittens waren sie viele, die beiden Doktoren selbst, Herr Lang, Augustinervikar, zwei Lizentiaten der Theologie, einer davon ein Neffe Reuchlins [Melanchthon], sehr arrogant, drei juristische Doktoren, viele Magister, und sie halfen zu Hause und öffentlich, sogar in der Disputation selbst mit. Ich dagegen stand allein, nur von der Gerechtigkeit [aequitas] begleitet .. . Luther hat am Tag St. Petri [29. Juni] in Abwesenheit des Fürsten im Disputationssaal eine hussitische, deutlich irrige, Predigt gehalten. Ich habe sogleich am Tag der Heimsuchung der Jungfrau Maria [2. Juli] und am folgenden Tag in einem überfüllten Saal, wie ich ihn noch nie vor mir gehabt habe, gegen seine Irrtümer gepredigt und das Volk richtig aufgebracht, so dass es gegen die lutherischen Irrtümer Widerwillen bekam. Morgen werde ich es gleicherweise tun und so mich von Leipzig verabschieden.
Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Bd. III. Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 3. verb. Aufl. 1988, Neukirchen -Vluyn 1988, S. 43-45
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