Urteil des Landgerichts Kassel im Prozess gegen die Urheber der Kirchhainer "Judenaktion" von 1938, 16. Dezember 1954 [Dokumentabschnitt 5].
Die Angeklagten Walter Biedermann, Ernst Teichmann, Otto Teichmann und Hermann Mandt werden als Urheber der Kirchhainer "Judenaktion" von 1938 verurteilt.
Haftstrafen: Biedermann 2 Jahre, E. Teichmann 1,5 Jahre, O. Teichmann 1,5 Jahre, Mandt 1 Jahr.
Ob die Aktion von der SS-Standarte angeordnet oder auf persönliches Betreiben der Angeklagten zurück ging, kann nicht geklärt werden. Dennoch sei Biedermann, auf dessen Geheiß sich die Angehörigen der Kirchhainer SS zusammen gefunden hätten, "geistiger Urheber" der Aktion gewesen. Seine Rede vor den Versammelten habe allen Beteiligten die innere Motivation zu Gewalttätigkeiten gestiftet.
Ernst und Otto Teichmann als oberste örtliche Repräsentanten der SS seien entgegen ihrer Äußerungen von der Aktion überzeugt gewesen und hätten die Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten innerlich gebilligt. Trotz der zivilen Kleidung der an der Aktion Beteiligten hätten sie über die Möglichkeit verfügt, qua ihrer Stellung innerhalb der SS die Aktion zu verhindern. Als Rädelsführer hätten sie stattdessen den inneren Kern einer sich über die Angehörigen der SS hinaus allmählich vergrößernden zusammengerotteten Menschenmenge gebildet und den "niederen Instinkt der Masse" geweckt. So konnte Menschen aus der Kirchhainer Bevölkerung im Schutz der anonymen Masse Gewalttaten begehen, derer sie sonst wahrscheinlich nicht fähig gewesen wären.
Der "Täterwille" der Angeklagten könne nicht geleugnet werden, unbhängig davon, in welcher Weise sie an den Ausschreitungen, Plünderungen und Misshandlungen selbst beteiligt gewesen sind. Der Unrechtmäßigkeit ihres Vorgehens seien die Angeklagten bewusst gewesen.
Weil Biedermann "in geistiger Hinsicht" hauptverantwortlich ist, übersteigt seine Strafe die von Ernst und Otto Teichmann, die als oberste örtliche SS-Repräsentanten als Rädelsführer anzusehen seien. Mandts Strafe ist geringer ausgefallen, weil er kein Amt der SS bekleidet habe.
Die seitens alliierter Besatzung den Angeklagten verhängte Internierungsstrafe müsse in Zusammenhang mit der "Judenaktion" stehen, sodass die dadurch verbüßte Haftzeit auf das Urteil anzurechnen sei. So reduziert sich die Haftstrafe bei Mandt, Ernst und Otto Teichmann um 1 Jahr, bei Biedermann um 5 Monate.
Aus technischen Gründen ist das Dokument in fünf Abschnitte unterteilt worden:
Abschnitt 1 siehe Dok 89.3.0
Abschnitt 2 siehe Dok 89.3.1
Abschnitt 3 siehe Dok 89.3.2
Abschnitt 4 siehe Dok 89.3.3
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